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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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reden hören, oder er kann sich entschließen, nur dem Klang seiner eigenen Stimme zu lauschen. Er meint, ich wäre ein Segen für einen geschwätzigen alten Mann.
    »Dafür, daß du so gräßlich aussiehst mit deinen drei Metern Größe und den ganzen Schuppen, dafür bist du gar nicht so übel, Kumpel. Ganz anders als mein verdammter Enkel, dieses Aas. Der ist nicht nach seinen Eltern geschlagen.« Er lacht wieder, ein schweres, fröhliches Geräusch ohne bösen Unterton.
    Eigentlich sind es gar keine Schuppen; es sind nur Rillen in meiner Haut. Wenn ich Blut hätte, wäre es warm und rot. In schlechtem Licht könnte ich als ungewöhnlich großer und muskulöser und leicht mißgestalteter Mensch durchgehen, wären da nicht meine harten Panzerschalen und die einziehbaren Krallen an den vier Extremitäten. Meine Gliedmaßen und mein Brustkorb sind größer als bei einem Menschen; ich gehöre einer jagenden Rasse an.
    Aber es stört mich nicht, wenn Sergeant Bush einen Scherz macht. Um ihm meine Belustigung zu zeigen, lächle ich und entblöße meine zwölf Zentimeter langen Eckzähne. Ich würde ja lachen, aber Sergeant Bush meint dann, daß sein Hörgerät pfeift. Er benutzt dieses schmutzige alte Ding aus reinem Starrsinn, doch gerade dadurch wird unsere Freundschaft möglich. Das abgenutzte alte Gerät überträgt die Töne so ungenau, daß die furchterregenden Untertöne meiner Stimme herausgefiltert werden. Ich bin dankbar für seine Dickköpfigkeit.
    Er nimmt wieder einen großen Schluck aus der Flasche, die wie durch Zauberei erscheint und verschwindet. Dann beginnt er, gemächlich von den letzten Schandtaten seines Enkels zu berichten. Ich lasse mich auf meine Klauen nieder und höre nur mit halbem Ohr zu. Ich grunze in angemessenen Abständen ungläubig, und mehr verlangt Sergeant Bush auch nicht von mir. Ab und zu drückt Sergeant Bush auf meinen Knopf. Das Museum hat die Aktivierungskreise mit einer Zeitschaltuhr versehen, damit ich nicht vorzeitig verschleiße. Wenn der Knopf nicht alle fünfzehn Minuten gedrückt wird, schalte ich mich aus. Meine Stromkreise können nicht mehr repariert werden, wenn sie zerfallen sollten, und das wird eines Tages sicher geschehen. Das Museum will natürlich, daß ich so lange wie möglich funktioniere.
    Ich denke wie immer an die Heimat. Ich habe das Gefühl, daß ich erst gestern mit meinen Gefährten über die hellen staubigen Ebenen streifte. Wir genossen unsere Bewegungsfreiheit, das große Spiel der Jagd, die Freude des Tötens nach der langen, zehrenden Hatz. In meinen Erinnerungen spüre ich heute noch den süßen, stählernen Geschmack des Blutes unserer Nahrungstiere im Mund. Ich schüttele mich. Künstliche Erinnerungen sind immer frisch und lebendig. Nicht einmal der große Nacama konnte mir die Fähigkeit einbauen, zu vergessen. Das bleibt den wirklichen Lebewesen vorbehalten.
    Jetzt erinnere ich mich wie jeden Abend an meine erste Aktivierung.
    Ich erwachte, zusammengekauert auf einem Haufen schwarzer Steine, in einer Höhle mit seltsam bleichem Licht und unvertrauten Gerüchen. Ein kleiner, teigig aussehender Zweifüßler stand vor mir und beobachtete mich scharf. Ich wußte nicht, wie ich dort hingekommen war, und ich hatte Angst. Ich versuchte, hinunterzuspringen und zu fliehen. Doch zu meinem Schrecken konnte ich mich nicht über die Kante der Säule hinaus bewegen, obwohl ich keine Barriere spürte. Ich blieb lange erschrocken und zitternd stehen, bis Nacama mich ausschaltete.
    Als er mich reaktivierte, war ich ruhiger; es war eine künstliche Ruhe. Nacama erklärte.
    Zuerst dachte ich, ich würde verrückt, aber natürlich läßt mein Programm keine anormalen geistigen Zustände zu. Die Kapazität meiner Matrix ist begrenzt, und deshalb bin ich, wie ich bin. Dennoch fällt es mir schwer zu akzeptieren, daß ich nichts weiter bin als ein sehr gutes Produkt der Uhrmacherkunst. Ich konnte damals die Bedeutung des Wortes Kunst nicht verstehen. Ich verstehe es immer noch nicht.
    In diesen ersten Tagen begann Nacama sichtlich zu verfallen. Ich selbst fühlte mich natürlich immer irrealer. »Aber das ist nicht wahr«, ermahnte er mich scharf. »Du bist genauso real wie ich, nur daß man dich mit einem Knopf abschalten kann. Du weißt gar nicht, wie sehr ich mir wünsche, auch so einen Knopf zu haben wie du, Klatu.«
    Am letzten Abend in der Schmiede wirkte er wie das verblassende Zerrbild eines Mannes. Als er mich aktivierte, saß er in einem alten

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