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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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Leute eine Gänsehaut bekommen. Deshalb flüstere ich, was meiner Stimme die unangenehmsten Untertöne nimmt. »Tut mir leid«, zische ich, »es war keine Absicht.«
    Sergeant Bush schielt mich an. »Warum hast du nie mit mir geflüstert, Curly?« Er hebt die Augenbrauen.
    »Ich dachte, es hätte Ihnen nicht gefallen, wenn ich geflüstert hätte, Sergeant Bush.«
    »Tja, du hattest wohl recht. Aber es hat sich geändert, Curly. Wir wollen in Zukunft flüstern, denn dann kann ich mein neues Hörgerät auch bei der Arbeit tragen. Lucy hier ist ein großes Mädchen, was? Und sie hat mir gesagt, daß sie große Männer mag.« Er blinzelt und schlendert davon und tut so, als wollte er sich die Kunstwerke ansehen, die er seit dreißig Jahren kennt. Und ich bin mit Lucy allein, mit der ersten Frau, die mir offiziell vorgestellt wurde.
    Sie betrachtet mich ohne Verlegenheit, aber auch ohne jede schreckliche Neugierde, die ich bei jenen armen Menschen sah, die mich sexuell reizen wollten. Ich glaube, einige von ihnen waren nicht im Gleichgewicht, und andere wollten Aufmerksamkeit erregen. Und keinem gelang es, mehr als mein Bedauern zu wecken.
    »Bush hat mir erzählt, daß du deine Arbeit nicht magst.« Ihre Stimme klingt voll. »Ich mag meine auch nicht.« Sie hält inne und mustert mich, als fragte sie sich, ob ich ein Streich bin, den Sergeant Bush ihr spielt, oder ob sie verrückt sei, weil sie mit einer Statue spricht.
    »Nun«, antworte ich, »es könnte schlimmer sein. Ich will mich nicht beklagen.«
    »Warum nicht?«
    Ich zögere. »Ich weiß nicht.«
    Sie setzt sich bequem auf die niedrige Bank. »Bush meinte, wir würden uns gut verstehen, Curly. Oder soll ich dich lieber Klatu nennen? Klatu der Schnelle …« Sie sagt es, als gefiele ihr der barbarische Klang meines Stammesnamens, der an der Seite meines Podestes eingraviert ist.
    »Curly ist schon in Ordnung, Lucy.« Ich lächle, aber Lucy scheint keine Angst zu haben. »Ich will dir von meiner Heimat erzählen, Lucy. Ich kenne viele schöne Legenden. Ich will dir erzählen, wie Bhagg, der Gott der Dürre, die Rudelkönigin Kepela hinters Licht führte.«
    Ich gebe mir Mühe, sie gut zu unterhalten. Mein Flüstern paßt gut zur Legende von Bhagg, es klingt trocken und düster und überzeugend. Sie ist eher bezaubert als entsetzt.
    Bevor sie geht, bedankt sie sich höflich und verspricht, mich wieder zu besuchen, als wäre ich ein Mensch.
     
    Sie kommt mehrmals in der Woche, und ich bin dankbar, wenn ich auch nicht weiß, warum sie kommt. Sie sitzt eine Weile bei mir, drückt auf meinen Knopf und tut so, als wäre sie eine Kunststudentin. Die Wächter der Tagschicht schicken sie nicht fort, wie sie es früher vielleicht getan hätten. Einmal kommen jetzt weniger Besucher, und außerdem gibt es draußen auf den Wällen immer wieder Notfälle, zu denen die Wächter eilen, um mit neuen Falten in den Gesichtern zurückzukehren.
    Die Zeit vergeht wie im Fluge, wenn sie bei mir sitzt. Ich habe viele seltsame Erinnerungen, genau wie Lucy. Ihre Geschichten sind nach menschlichen Begriffen kaum weniger bizarr als meine. Sie arbeitet in einer Bar mit Namen Slick Pit als Animierdame. Wenn ich sie recht verstanden habe, wird sie dafür bezahlt, daß sie sich auszieht. Ich halte das für einen seltsamen Beruf.
    Bei ihrem dritten Besuch macht Lucy eine verblüffende Enthüllung. Sie ist eine Freiläuferin! Auf jeden Fall lebt sie draußen. Als sie mir das sagt, starre ich verblüfft zu ihr hinunter. Ich hatte mir die Freiläufer immer als kaum menschliche Monstren vorgestellt, gewiß nicht als Leute, mit denen man über seine Vorfahren sprechen kann. Sie greifen immer wieder das Museum und die Touristengruppen aus dem Bezirk an.
    »Nein«, sagt Lucy, »ich bin unpolitisch.«
    »Aber ist es nicht gefährlich, draußen zu leben? Ich habe schreckliche Geschichten darüber gehört, was den Menschen dort geschieht.«
    »Nur den Touristen«, sagt sie, »das ist ein wichtiger Unterschied, Curly.«
    Ich denke darüber nach.
    »Es ist wie bei Bush. Bush ist ein Vollbürger, aber er geht oft nach draußen. Das machen viele, und sie haben ihren Spaß, wenn sie sich anpassen können wie Bush. Weißt du, Curly, dein Freund Bush ist ein verwirrter alter Mann. Man sieht es ihm nicht gleich an, aber so ist es. Doch, es ist wahr; wenn ich mich ausziehe, klatscht und brüllt er wie alle anderen alten Trottel.«
    Ich bin wie vor den Kopf geschlagen. Anscheinend hat Sergeant Bush eine

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