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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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jedoch als aufgewölbte Formen, die sich aber leicht begehen ließen. Sie maßen zumeist zwischen zwanzig und hundert Schritt im Durchmesser, einige erreichten auch die Größe eines mittleren Sees. Einmal schritt sie mehrere Stunden über denselben See, verhielt dabei mitunter, um sich zur Oberfläche hinabzubeugen und festzustellen, wie es tief unten noch immer verhalten glühte.
    War die Landschaft noch am Vortag beinahe gänzlich rot bis gelbglühend gewesen, zeigte sie sich nun in allen Farben des Spektrums. Die Seen und Tümpel schwankten zwischen tiefroten und ockerfarbenen Tönen. Vereinzelte Felsen schimmerten matt in tiefem Grün. Die Brücken und Ufer zwischen den Seen waren zerfurcht und rissig, an seltenen Stellen glatt, doch in allen Ritzen und Winkeln voll überraschender Farben. Den prachtvollsten Anblick schließlich gaben die übermannshohen Magmasäulen ab. Sie wirkten wie in der Hitze zerlaufene Gebilde aus mit Gold versetztem Glas. Ihre Oberfläche war von Schlieren durchzogen, die bis in ihre dunkelsten Winkel metallisch schimmerten. Von allem, was das Mädchen in der Ebene zu Gesicht bekam, waren diese Säulen die eigenständigsten Schöpfungen der Flut. Sie ließen sich mit nichts vorher Gekanntem vergleichen.
    Kein Laut war zu hören. Außer ihren Schritten, ihrem Atem und ihrem aufgeregt pochenden Herzen regte sich weithin nichts. Der Frieden schien unangreifbar. Wie der Schoß einer allumfassenden, in ihrer Stille gütigen Mutter umgab sie die Landschaft ringsum. Das Zeitalter unsteter Hoffnungen war einer Epoche archaischen Friedens gewichen und lud zu Erkundungen ein.
    Doch schon bald machten ihr deutliche Anzeichen von Schwäche zu schaffen. War sie am ersten Tag noch unbekümmert vorangekommen, so schien sich nun der vormals leichtbegehbare Boden unter ihren Füßen unablässig zu verhärten. Ihre Sohlen schmerzten mehr und mehr, ihre Kehle war vom Atmen der heißen, staubigen Luft ausgedörrt, und in ihren Augen brannte unbarmherzig das marmorweiße Licht.
    Hinzu kam, daß sie nun auf neue Hindernisse traf. Erst als sie selbst über die Seen nur noch mit Schwierigkeiten vorankam, bemerkte sie, daß die versteinerte Reglosigkeit um sie her doch weiterhin Verwandlungen unterworfen war. Etwas tat sich an den porösen Oberflächen der Felsen, Seen und Lavasäulen. Sie büßten merklich an Glanz ein, verloren ihren metallischen Charakter, was sich zuerst darin äußerte, daß das Sonnenlicht nur noch schwach von ihnen reflektiert wurde. Offenbar war dies die Begleiterscheinung eines Prozesses, dem die ganze Landschaft unterlag: zuerst nur vereinzelt, dann immer häufiger sprossen spitze Nadeln und schartige Kanten aus dem Fels hervor. Wenig später waren die vormals glatten Felsen überall mit verschrobenen Gebilden bedeckt, die matten Kristallstauden glichen.
    Diese Gebilde wuchsen rasch. Schon am dritten Tag erschwerte sie das Vorankommen in solchem Maße, daß das Mädchen sein Tempo merklich mildern mußte. Immer wieder strauchelte sie, wenn sie sich über das unebene Gelände vorantastete, stürzte sie wiederholt zu Boden und schürfte sich Knie und Hände an den sprießenden Felsnadeln auf. Zudem machten ihr zunehmend Anfälle von Müdigkeit zu schaffen. Sie legte immer öfter Pausen ein. Fast schien es so, als sei sie in den wenigen Tagen um Jahre gealtert. Ihre Bewegungen waren nun weniger geschmeidig, brachten längst nicht mehr so viel Geschicklichkeit zuwege. Vor Hindernissen, die sie anfangs nicht scheute, begann sie nun zu zögern.
    Wenn sie sich mit der Hand durchs Haar fuhr, um den kräftiger werdenden Wind an ihre Stirn zu lassen, bemerkte sie, daß es weniger kräftig und dicht als noch vor einigen Tagen war. Zuweilen hielt sie sich eine Strähne vor die Augen, um verwundert ein rasch fortschreitendes Ergrauen zur Kenntnis zu nehmen. Den tief schwarzen, fast bläulichen Glanz hatte ihr Haar verloren.
    Noch beanspruchte die Faszination der jungen Landschaft sie zu sehr, als daß sie ihrer eigenen Verfassung mehr als nötig Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Immer wieder stieß ihr Blick auf etwas, das ihr Interesse derart fesselte, daß sie alles andere vergaß. Der Anblick hier war selbst von erhöhten Punkten nicht so weitreichend und überwältigend wie vom Waldrand aus, doch die Sicht auf Einzelheiten entschädigte für vieles.
    Die Luft wurde klar und bernsteinfarben, der Wind frischte von Stunde zu Stunde auf. Am vierten Tag begannen sich die emporwachsenden Felsgebilde

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