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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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mit dem Vogelkopf. Sie ließ sich ihr zu Füßen nieder und betrachtete fasziniert den aus Stein gehauenen Körper. Wenn es überhaupt etwas gab, das sich während ihrer Abwesenheit verändert hatte, dann war es diese Figur. Ob von irgendeiner Hand noch daran gearbeitet worden war, schien zweifelhaft, unbestreitbar aber hatte irgendein Einfluß sie weiter vervollkommnet, sie aller Schwere entledigt, die steinernen Bilder so anhaftet. Nun war sie zart, warm, fast lebendig. Die Haut des gemeißelten Körpers schien rosig. Es fehlte nur ein Hauch und die Figur sähe – bis auf den Vogelkopf – wie eine Reinkarnation jenes Mädchens aus, das nun vor ihr als alte Frau am Boden kauerte.
    Die Zeit, die ihr noch blieb, verbrachte diese alte Frau damit, das Abbild ihrer verlorenen Schönheit zu betrachten. Der Vogelkopf störte sie bald nicht mehr. Die Vollkommenheit der Statue ließ sie alle Schwäche, alle Schmerzen vergessen. Ihre von den steinernen Ranken gerissenen Wunden bluteten, ihr ergrautes Haar fiel in Strähnen herab, und das Kleid hing ihr in Fetzen von den Schultern. Doch sie hatte nur Augen für die Figur, keine Augen für den zerstörten Wald, der sich um sie her in einem Aufwachsen magmatischer Flora zu verändern begann, und auch keine Augen für die Sonne, die zum ersten Mal seit langem wieder unterging, einem friedvollen, warmherzigen Abend wich, dessen goldrotes Licht noch lang über den Vorbergen lag.
    Bei Einbruch der Dämmerung, im Schein des Mondes, schlief sie ein, die Arme um die Füße der Skulptur geschlungen, in deren Adern erstes Blut floß. Beim Morgengrauen war die alte Frau zu Stein erstarrt, zu weißem Marmor, den graue Falten durchzogen.
    Die Figur indessen erwachte zum Leben. Stolz trat sie vom Sockel, wandte sich in prachtvoller Schönheit ab vom jammervollen Anblick ihres alten Selbst und schritt hinab in die Ebene. Der Nebel begrüßte sie, indem er von ihr wich. Während sie der steigenden Sonne entgegenging, brachte sie Schritt für Schritt neues Leben und Licht in die Gärten aus steinernen Ranken. Einer geschmeidigen Göttin gleich hielt sie schließlich inne und blickte auf zur Sonne, ihrer Mutter, ihrer Amme, blickte auf und grüßte sie mit einem Schrei, dem Krächzen aus der Kehle eines Adlers.
     
    Copyright © 1991 by Michael K. Iwoleit

 
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Vance Aandahl
Im Lichte des Heiligen Krauts
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    Keine Ferne macht dich schwierig.
    Kommst geflogen und gebannt,
    Und zuletzt, des Lichts begierig,
    Bist du Schmetterling verbrannt.
    – GOETHE
     
    D as ist verrückt, dachte Mark. Auf was habe ich mich da eingelassen? Er sah auf den Tachometer, dessen Nadel auf über sechzig kletterte.
    »Steven«, sagte er, »glaubst du nicht, du übertreibst ein bißchen? Ich meine …«
    »Ach was, red keinen Scheiß und genieß die Fahrt! Ich weiß, was ich tue.«
    Mark duckte sich, als Steven das Pedal bis unten hin durchtrat. Sie rasten nun noch schneller durch die Dunkelheit, mit einer Geschwindigkeit von fünfundsechzig, siebzig, fünfundsiebzig Meilen in der Stunde auf der kurvigen Bergstraße. Der alte Plymoth hatte weder eine Windschutzscheibe noch sonstige Fenster. Ein ständiger Strom von Nachtluft rauschte durch ihn hindurch und peitschte Marks lange Haare und seinen Bart wild in alle Richtungen und wehte ihm scharf in die Augen, so daß er die Straße vor ihnen nicht sehen konnte.
    Warum o warum habe ich mich auf ein so hirnverbranntes Unternehmen eingelassen? Dieser Steven – wer immer er sein mag – muß eine Art Wahnsinniger sein. Und von dem anderen Typen weiß ich nicht einmal den Namen.
    Mark warf einen Blick hinüber zu dem Rastafarier, der neben ihm auf dem Beifahrersitz saß. Der tobende Wind zerrte an den wirren Reggaelocken des Rasta-Mannes, doch seine blutunterlaufenen Augen erschienen unbeeindruckt, unerschütterlich ruhig, uralt und weise. Entweder das, oder er war so high, daß ihm nichts etwas ausmachte.
    Schneller und immer schneller preschte der alte Plymoth die Steigung hinauf, fuhr auf zwei quietschenden Reifen durch die Kurven, wobei sein überdrehter Motor heulte und seine Scheinwerfer einen verrückten Tanz über das Dickicht tropischer Büsche zu beiden Seiten der Straße vollführten. Schotter knallte wie Schrot aus einer Flinte gegen den Unterboden des Wagens. Steven nahm gerade so viel Gas weg, daß er den Plymoth durch eine scharfe Haarnadelkurve brachte, ohne sich in den Dschungel zu überschlagen. Gleich darauf wurde die Straße noch

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