Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Stahlberg machte jetzt einen ängstlicheren Eindruck, er wich zur Wand zurück und zuckte zusammen, als Hanne den Tisch hinter ihm herschob und ihn damit zwischen Tischplatte und Wand einklemmte.
»Das ist unangenehm«, murmelte er und versuchte, den Tisch wegzuschieben.
»In diesem ganzen Haus«, flüsterte Hanne, ohne Stahlberg anzusehen, »gibt es nur eine einzige Person, die sich überhaupt vorstellen kann, daß Sie das Vergehen, dessen Sie angeklagt werden, nicht begangen haben. Einen einzigen Menschen, Stahlberg! Mich! Alle anderen, und ich meine wirklich alle, sind davon überzeugt, daß Sie in diesem Drama der Schurke sind.«
Plötzlich zog sie den Tisch wieder zurück. Er blieb trotzdem an der Wand sitzen, starr und bewegungslos, sein Blick ruhte auf ihrem Hosenbund, und sie fügte hinzu:
»Ich weiß, daß es noch andere Lösungen geben kann. Ich besitze schließlich eine gewisse … Erfahrung, die mir sagt, daß zwischen der Planung einer Tat und ihrer Durchführung eine große Lücke klaffen kann. Ich weiß nämlich, genau wie Sie …«
Langsam hob Stahlberg den Kopf, und als ihre Blicke einander zum ersten Mal begegneten, fand sie in den großen Pupillen die nackte Angst. Der Mann war außer sich vor Panik.
»Genau wie Sie«, sagte Hanne, »weiß ich, was es bedeutet, seinen Vater zum Teufel zu wünschen. Das bedeutet nicht unbedingt, daß man ihn auch tatsächlich dorthin schafft.«
Eine kleine Träne löste sich aus seinem linken Auge. Der Tropfen lief erst langsam über seine Wange, dann wurde er schneller und verwandelte sich im Mundwinkel in eine kleine, feuchte Spur.
»Wenn ich Sie wäre, würde ich diese Chance nutzen«, sagte Hanne. »Die, die hier und jetzt vor Ihnen liegt. Sie lügen dermaßen, daß ein Kind im ersten Schuljahr Sie entlarven könnte. Die übrige Bande da draußen …«
Sie zeigte vage in Richtung Tür.
»Die lebt in dem seltsamen Glauben, daß jemand, der einmal lügt, immer lügt. Ich dagegen weiß, daß das nicht stimmt. Und jetzt schalte ich das Tonbandgerät ein, und wir fangen von vorne an. Es liegt an Ihnen, was dabei herauskommt.«
Sie drückte auf den Startknopf.
»Wann haben Sie zuletzt von Hermine gehört?« lautete ihre erste Frage.
»Das kann doch einfach nicht wahr sein! Herrgott, die Kleine stellt ja allerhand an, aber das hier … was um Himmels willen soll das nun wieder?«
Erik Henriksen ging auf diesen Wutausbruch Mabelles nicht näher ein. Er mußte sich zusammenreißen, um die ganze Situation nicht einfach nur noch komisch zu finden. Er kam sich vor wie im Theater, in einem Kabarett, in dem Mabelle alle Rollen selbst spielte. Sie war auch ziemlich gut. Absolut brillant in den eher femininen Partien, wenn sie an seinen männlichen Beschützerinstinkt appellierte und ihr Äußeres einsetzte, das er ihren vielen Lügen zum Trotz immer anziehender fand. Sie saßen jetzt seit über vier Stunden in dem engen, stickigen Raum. Er wurde jetzt müde, und auch Anwalt Huse hatte inzwischen sein Jackett ablegen und seinen Schlipsknoten ein wenig lockern müssen. Mabelle dagegen wirkte von allem unberührt. Ihre Haare waren noch immer luftig, leicht und sahen aus wie frisch gewaschen. Die Schminke schien ein fester Bestandteil ihres Gesichts zu sein. Zweimal hatte sie ihren Lippenstift erneuert; diskret abgewandt, ohne Spiegel, trotzdem jedesmal präzise und perfekt.
Erik öffnete den Mund, um ihrem Ausbruch nun doch ein Ende zu setzen.
»Warten Sie«, jetzt weinte sie fast. »Lassen Sie mich ausreden! Hermine ist hoffnungslos! Bestimmt hat sie euch das alles erzählt. Aber es stimmt nicht! Und wie habt ihr sie gefunden? Ist sie denn überhaupt schon hergekarrt worden?«
Nur hier und dort entglitt ihr die Sprache und man merkte, daß sie weit entfernt von Reedereien und steinreichen Schwiegereltern aufgewachsen war.
Erik gab keine Antwort.
»Sie wissen also nichts davon, daß Hermine sich im November eine illegale Handfeuerwaffe gekauft haben soll«, fragte er statt dessen.
»Nein, das hab ich doch schon gesagt! Herrgott, eine Handfeuerwaffe! Was in aller Welt wollte sie mit einer Handfeuerwaffe? Und selbst wenn, was soll ich denn damit zu tun haben? Ich weiß doch nicht mal, was eine Handfeuerwaffe ist. Ist das eine Pistole oder so was? Und hat Hermine das gesagt?«
»Ich möchte das nur klarstellen: Sie haben nichts gehört oder auf irgendeine andere Weise mitbekommen, das darauf hinweisen könnte, daß Ihre Schwägerin Hermine Stahlberg sich eine
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