Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Titel: Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
Vom Netzwerk:
mittelgroßen Kanzleien. Er saß aufrecht in seinem Sessel, tadellos gekleidet in einen anthrazitgrauen Anzug, und hatte sich sofort als Mann erwiesen, mit dem man reden konnte. Erik war erleichtert und nicht wenig überrascht. Anwalt Gunnar Huse war schon eine halbe Stunde, nachdem Erik ihn angerufen und ihm die Lage erklärt hatte, zur Stelle gewesen. Er war höflich, fast schon freundlich, und hatte gegen die Festnahme keine Einwände vorzubringen. Er war zwar aufmerksam und griff ein, wenn Mabelle zuviel zu reden drohte, aber er schien es nicht darauf anzulegen, das Verhör zu stören. Deshalb riß Erik sich zusammen und machte sich auf einen langen Tag gefaßt. Nach diesem würden andere Anwälte kommen. Der Mann mit dem wachen Blick hinter der diskreten Brille würde diesen Tag wohl kaum bis zu Ende überstehen. Sein Nachfolger würde schlimmer sein. Gunnar Huse hatte es gleich zu Anfang selbst gesagt, mit vertraulicher Stimme, halb zu Erik gebeugt:
    »Ich bin der feste Anwalt der jungen Stahlbergs. Mein Fachgebiet ist die Wirtschaft. Ich habe keinen Einwand dagegen, daß meine Mandantin heute hier verhört wird, aber ich möchte darauf aufmerksam machen, daß meine Kanzlei bereits nach einem Ersatz für mich sucht. Nach einem Kollegen, der besser geeignet ist für einen Fall von diesen Ausmaßen und dieser Beschaffenheit.«
    Danach hatte er Erik bedauernd angesehen, als sehe er schon den Lärm und Ärger, die kommen mußten, sobald die profilierten Strafrechtsexperten diesen Fall an sich reißen würden.
    »Wir hatten eine sehr gute Beziehung, das hab ich doch schon gesagt«, sagte Mabelle gerade.
    Plötzlich spielte sie die Resignierte. Sie griff sich an den Kopf und verdrehte dramatisch die Augen, ehe sie im nächsten Augenblick ebenso plötzlich auf die Rolle der Vernünftigen umschaltete:
    »Ich meine, in allen Familien gibt es Meinungsverschiedenheiten, nicht wahr? Diskussionen und Auseinandersetzungen, mit Eltern und Schwiegereltern. Aber das bedeutet doch nicht, daß wir ihnen nach dem Leben trachten, oder?«
    Plötzlich brach sie in Tränen aus, und wieder bohrte ihr Blick sich in Eriks Augen. Mabelle wurde zum verletzten, ungerecht behandelten Kind.
    »Ich begreife gar nichts«, schluchzte sie. »Ich verstehe einfach nicht, wie das passieren konnte.«
    Erik klopfte ungeduldig mit dem Kugelschreiber auf den Tisch.
    »Hören Sie«, sagte er und versuchte, gelassen zu wirken. »Das bringt uns doch nicht weiter. Sie beantworten keine meiner Fragen. Sie reden nur unzusammenhängenden …«
    Schwachsinn, dachte er, riß sich aber zusammen.
    »… Bruchstücke von Dingen, die mit einer Erklärung nicht einmal Ähnlichkeit haben. Ich schlage vor, daß wir …«
    »Wir fangen von vorn an«, sagte Anwalt Huse entschieden.
    Er beugte sich zu seiner Mandantin vor und legte die Hand auf ihre.
    »Mabelle, hier mußt du einfach hindurch. Der Herr hat absolut recht. Du bist zu keiner Aussage verpflichtet. Ich bin aber davon überzeugt, daß es zu deinem Besten wäre, ein wenig … konzentrierter und strukturierter zu sein, könnte man sagen. Und jetzt werden du und ich uns kurz unterhalten, ohne unseren Freund …«
    Er nickte Erik wohlwollend zu.
    »… unseren Freund, den Kommissar. Dürfte ich einige Minuten allein mit meiner Mandantin sprechen?«
    Wieder dieses Lächeln, fast mitleidig, zu Erik hinüber, der sich bereits erhoben hatte.
    »Natürlich«, sagte er und verließ den Raum.
    Keine Rede davon, daß Mabelle auf den neuen Anwalt warten wird, dachte er, als er die Tür hinter sich schloß. Sie will Zuhörer, jetzt und immer. Das hatte Erik immerhin schon begriffen. Mabelle wollte um nichts in der Welt zurück in eine übelriechende, dumpfe Zelle. Wenn sie nur lange genug weinen, drohen und betteln dürfte, dann würden alle verstehen, wie haarsträubend ungerecht es war, sie einzusperren. Mabelle Stahlberg machte alles andere als einen dummen Eindruck. Vermutlich würde sie mit nichts Wichtigem herausrücken. Aber ihre Selbstbezogenheit ruinierte ihr alles, diese Egozentrik, die ihr schon früher geholfen hatte, in Situationen, in denen es sich gelohnt hatte, rasch zu sein, draufgängerisch, immer die erste in der Schlange. Zurückhaltung war ganz einfach eine Strategie, die sie nicht kannte.
    Aber Mabelle will nach Hause, dachte Erik, und deshalb wird sie schon bald ihre Aussage machen.
    »Geht’s gut?«
    Annmari Skar legte ihm die Hand auf die Schulter, und er zuckte zusammen.
    »Ja«, sagte Erik.

Weitere Kostenlose Bücher