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Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Titel: Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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aus geführte Gespräch wecken. »Ich bin’s.«
    Ein Klirren ließ annehmen, daß das Telefon zu Boden gefallen war.
    »Es ist zehn vor zwei«, stöhnte er endlich.
    »Weiß ich. Danke für euren Besuch. Es tut mir leid, daß ich …«
    »Leidtun ist dein zweiter Name, Hanne. Es hilft nicht viel, sich die ganze Zeit entschuldigen zu wollen. Erzähl mir lieber, warum du anrufst.«
    Er hatte sich offenbar im Bett aufgesetzt.
    »Willst du nicht irgendwohin gehen, wo du allein bist?« fragte Hanne.
    »Ich bin im Jungenzimmer. Allein. Tone-Marit behauptet, ich schnarche zu sehr, wenn ich etwas getrunken habe. Warum rufst du an?«
    »Ich möchte nur eine Argumentationsreihe testen.«
    »Um zwei Uhr in der Weihnachtsnacht. Na gut.«
    »Warum töten wir, Billy T.?«
    »Hä?«
    Ihre Augen hatten unten auf der Straße eine Bewegung registriert. Etwas Dunkles war unter einem Baum verschwunden und drückte sich jetzt an den Stamm; es war in einem Moment geschehen, in dem sie sich auf das Gespräch konzentriert hatte, deshalb wußte sie nicht, was es sein konnte.
    »Bist du noch da, Billy T.?«
    »Herrgott, Hanne …«
    »Antworte einfach, Billy T.«
    »Das wissen wir doch beide«, sagte er ungeduldig. »Verdammt, was soll das eigentlich?«
    »Bitte. Spiel doch jetzt mit.«
    Er seufzte, was im Telefon wie ein wütendes Zischen klang.
    »Morde werden normalerweise im Affekt begangen«, sagte er mit tonloser Dozentenstimme. »Von Tätern, die weder vorher noch nachher dasselbe Verbrechen begangen haben oder noch einmal begehen werden. Die Tat geschieht zumeist unter dem Einfluß von Alkohol oder anderen Rauschmitteln, und Täter und Opfer sind oft miteinander verwandt oder bekannt.«
    »Genau«, sagte Hanne und starrte aus zusammengekniffenen Augen den Punkt unter der großen Eiche an, wo sie etwas gesehen zu haben glaubte. »Nicht gerade spannend also. Traurig, aber nicht spannend. Du hast gesagt, daß es zumeist so ist. Und wenn nicht?«
    »Sexualverbrechen«, sagte Billy T. »Bei denen der Mord irgendwie zum Sexuellen dazugehört, oder, häufiger: Wo der Mord durch ein Versehen geschieht oder um den Übergriff zu verdecken.«
    »Danke. Aber was ist mit vorsätzlichem Mord?«
    »Haß, Rache oder Geld. Aber das passiert nicht sehr oft.«
    »Haß, Rache, Geld, oder … noch etwas.«
    »Was denn?«
    »Ehre«, sagte Hanne und dehnte dieses Wort aus. »Die Ehre ist verloren und kann nur durch einen Mord wiederhergestellt werden, was streng genommen ja nur für eine winzige Minderheit unter unseren neuen Landsleuten gilt. Nicht wahr?«
    Billy T. murmelte etwas, das nach Einverständnis klang.
    »Aber es kann doch auch passieren, weil man die Ehre in Gefahr sieht«, sagte Hanne. »Der Mord wird begangen, weil das Opfer irgend etwas besitzt, zumeist irgendein Wissen, das für den Täter eine Bedrohung darstellt.«
    »Meinst du«, begann Billy T. hitzig, »daß Carl-Christian und Kompanie die halbe Familie umgebracht haben, um ihre Ehre zu retten?«
    »Dieser Brief mit Hermanns gefälschter Unterschrift kann ja durchaus auf so etwas hinweisen«, sagte Hanne. »Jemand wie CC , der in einem Prozeß gegen seine eigenen Eltern als Urkundenfälscher entlarvt wird, verliert doch auf jeden Fall sein Gesicht. Aber darauf wollte ich eigentlich nicht hinaus, sondern …«
    » CC s Motiv«, jetzt wurde Billy T. laut, »… und Mabelles und Hermines zusammengenommen reichen völlig aus , Hanne. Jahrelanger Streit, Unterdrückung, Schikane, Prozesse, die Gefahr, im Testament absolut beschissen und dann auch noch als Urkundenfälscher entlarvt zu werden! Und dazu kommen noch Kenntnisse im Umgang mit Waffen. Wenn du dir dann noch vor Augen hältst, daß alle drei ein erbärmliches Alibi haben, dann haben wir mehr Verdachtsmomente, als wir verdammt noch mal in meiner Erinnerung jemals gehabt haben!«
    »Jetzt reg dich doch nicht so auf.«
    Es war ein Mensch. Ein Mann offensichtlich. Hanne war sich nicht sicher. Die scharfen Schatten und das trübe Licht erschwerten die Sicht. Die Gestalt trug dunkle Kleider und eine riesige Mütze. Langsam wanderte sie auf der anderen Straßenseite am Zaun entlang. Unter dem nächsten Baum, versteckt hinter einem Kastenwagen, blieb sie erneut stehen.
    »Reg dich nicht so auf«, wiederholte sie mechanisch. »Ich bin natürlich ganz deiner Meinung. Aber kannst du nicht im Gegenzug mitspielen und dich auf den Gedanken einlassen, daß das Motiv nicht bei Erbschaft und Geld zu suchen ist, nicht bei Haß und Rache.

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