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Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Titel: Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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tiefer Gewißheit. Das hier war schon einmal passiert. Nicht auf dieselbe Weise, nicht denselben Menschen, aber aus demselben Grund und mit genau demselben Ergebnis.
    »Komm rein, Alexander«, sagte sie und versuchte, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen, ehe sie zu Nefis herumfuhr, die mit den Kindern in der Wohnzimmertür stand. »Könntet ihr uns vielleicht für einen Moment allein lassen?«
    Der Junge stand noch immer im Treppenhaus. Hanne legte ihm die Hand auf den Arm und merkte, wie schmal der war, wie dünn der Junge war. Er ließ sich ein Stück weit in die Wohnung führen. Sie nahm sein Gepäck, stellte es in eine Ecke und schloß dann hinter ihm die Tür. Er preßte die Schulter gegen den Türrahmen und wandte sich halb ab, als spiele er mit dem Gedanken wegzulaufen. Jetzt weinte er, lautlos. Er neigte das Kinn auf die Brust und bohrte die Hände in die Taschen.
    »Sieh mich an«, sagte Hanne und hob behutsam sein Kinn.
    Er war so unfertig; seine Nase ein wenig zu groß und sein Hals zu dünn. Die Stirn war glatt und nackt. Er versuchte, sich die Haare ins Gesicht zu streichen und seine Augen zu verbergen.
    »Komm einfach mit rein, okay? Das ist nur eine leicht komische Versammlung von Leuten …«
    Sie lächelte und fügte hinzu:
    »Aber wir möchten schrecklich, schrecklich gern hier mit dir zusammensein.«
    Sie lächelte noch einmal, vage und schief, und er hörte auf zu weinen. Er holte tief Luft und wischte sich mit dem Handrücken die Augen, in einer aufgesetzten Geste der Männlichkeit, die damit abgerundet wurde, daß er sich mit den Fingern die Nase putzte und sie sich dann an seiner Hose abwischte.
    »Ich bin nicht gerade passend für einen Weihnachtsbesuch angezogen«, murmelte er, ging aber hinter ihr her zu den anderen.
    »Das ist Alexander«, sagte Hanne laut. »Der jüngste Sohn meines Bruders. Er hatte einen ziemlich ernsthaften … Disput mit seinen Eltern. Und deshalb wird er erst mal hier bei uns wohnen.«
    Der Junge machte ein skeptisches Gesicht. Sein Blick schweifte über die Anwesenden und blieb dann an dem mechanischen Weihnachtsmann hängen. Marry fluchte leise in das Glas mit dem neu erfundenen Cocktail, den jetzt auch die Kinder aus großen Halbliterkrügen schlürften.
    »Wie schön«, sagte Nefis strahlend. »Es wird nett sein, einen Mann im Haus zu haben.«
    »Ich will auch herziehen«, klagte der neunjährige Hans Wilhelm. »Warum kann ich nicht hier wohnen?«
    »Nichts da«, nuschelte Håkon, der jetzt ziemlich blau war. »Ich sterbe vor Kummer, wenn du von uns wegziehst. Du mußt bei mir und Mama wohnen, bis du vierzig bist.«
    »Alexander ist … wie alt bist du?«
    »Sechzehn«, sagte der Junge leise. »Ich werde in einem Monat sechzehn.«
    »Sechzehn«, wiederholte Hanne laut.
    »Er sieht dir schrecklich ähnlich«, sagte die kleine Liv skeptisch und bohrte Alexander einen Finger in den Oberschenkel, wie um sich davon zu überzeugen, daß er wirklich existierte.
    »Unglaublich«, flüsterte Karen Tone-Marit zu. »Hast du so was schon mal gesehen?«
    Billy T. schlug Alexander kumpelhaft auf den Rücken.
    »Hilfst du mir in der Küche? Jetzt sind die Jungs an der Reihe. Und der Genosse dahinten ist blau und zu nichts zu gebrauchen.«
    Der Junge nickte und lächelte jetzt breiter; seine Zähne kamen zum Vorschein, und Nefis lachte laut, als sie sah, daß der eine Vorderzahn ein wenig vor dem anderen lag, wie bei Hanne. Der gleiche Zahn, der gleiche witzige Winkel.
    »Ich ruf deine Eltern an«, flüsterte Hanne dem Jungen ins Ohr, als er gerade Billy T. in die Küche folgen wollte.
    Er erstarrte.
    »Ganz ruhig«, sagte sie leise. »Ich will nur keinen Ärger mit dem Jugendamt riskieren, okay? Ich kümmere mich um alles.«
    Jenny war auf dem Schoß ihrer Mutter eingeschlafen, in rotem Schlafanzug und mit Mickymaus-Ohren auf dem Kopf. Hans Wilhelm spielte mit der Rennbahn. Liv stand mit Marry in der Küche und mixte neue Cocktails. Diesmal versuchten sie es mit einer Mischung aus Milch, Orangensaft und Tonic, in hohen Gläsern mit Erdnüssen auf dem Grund. Håkon war im Badezimmer verschwunden und dort aller Wahrscheinlichkeit nach eingeschlafen. Die anderen saßen im Wohnzimmer und unterhielten sich leise, um die schlafende Vierjährige nicht zu wecken.
    Hanne fühlte sich auf seltsame Weise wohl. Es war ein geradezu physisches Gefühl von Befreiung, wie nach einem langen, anstrengenden Spaziergang.
    »Was ist eigentlich passiert?« fragte Karen

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