Die Wahrheit deiner Berührung (German Edition)
Sie trauen Schmeicheleien nicht, kann das sein?« Als Mina lediglich die Schultern zuckte, sagte Phin mit sanfter Stimme: »Habe ich es mir doch gedacht. Und weshalb habe ich recht? Weil wir keine Fremden sind.« Er schwieg so lange, bis sie ihm geradewegs in die Augen sah. »Lassen Sie es mich anders sagen«, murmelte Phin. »Kann man in nur einem Tag lernen zu hassen?«
Mina ahnte, worauf er hinauswollte. Was für eine verrückte Idee. Um ein Haar hätte sie ihre Hand weggezogen. Doch die Ehrlichkeit, die aus seinen dunklen Augen sprach, erforderte Courage, und sie wollte ihm in Sachen Mut in nichts nachstehen. »Vielleicht«, sagte sie achselzuckend. Ihre Antwort mochte ein wenig feige wirken, doch eine bessere fiel ihr nicht ein.
»Ich kenne die Antwort«, erwiderte er mit fester Stimme. »Und ich versichere Ihnen, dass ich es binnen eines Tages gelernt habe und dass der Hass mich mein Lebtag begleiten wird. Interessiert es Sie, wie aus einem Kartografen ein Spion wurde?«
Ihr war bewusst, worauf er anspielte. Vor ziemlich genau vier Jahren hatte das Leben ihre Biografie umgeschrieben, und hierbei ging es nicht um Geschichten, die sich so nebenbei erzählen ließen. Nein, sie waren vielmehr der Schlüssel zur Seele des jeweiligen Menschen. »Ja«, sagte sie leise.
Er strich behutsam über ihre Hand. »Als Landvermesser in der Armee hatte ich den Auftrag, den Himalaja zu kartografieren. Diese Aufgabe führte mich an Orte, an die sonst kaum ein Mensch kommt. Einer meiner Vorgesetzten zeigte ungewöhnlich starkes Interesse an meinen Ergebnissen. Ich habe mir nichts dabei gedacht, zumal wir einen gemeinsamen Bekannten hatten, einen alten ehemaligen Kartografen und Astronomen, der während meiner Jahre in Eton mein Mentor gewesen war. Selbst in den Momenten, in denen ich so etwas wie Zweifel an besagtem Offizier hatte und mich ein ungutes Gefühl befiel, verschwand es schnell wieder, sobald ich mir in Erinnerung rief, dass wir einen gemeinsamen Freund hatten, der ihn in höchsten Tönen lobte. Eines Tages beorderte mich ebendieser Offizier, der inzwischen so etwas wie mein neuer Mentor geworden war, nach Simla. Dort erklärte er mir, einer seiner Verbündeten hätte sich im Gebiet an der westlichsten Grenze zu Afghanistan verirrt. Das war eine ziemlich schlechte Nachricht, weil Disraeli bereits Druck auf den Vizekönig Northbrooke ausgeübt und ihm nahegelegt hatte, er und Sher Ali sollten eine härtere Gangart gegen die Russen einschlagen. Northbrooke hatte das jedoch abgelehnt. Es gab keinen Grund für einen Engländer, sich ohne offiziellen Befehl ins Zentrum des Chaos zu begeben. Das wäre fast so gewesen, als würde man ein brennendes Streichholz auf Zunder werfen. Aber mein neuer Mentor konnte sehr überzeugend sein. Er sagte, ich hätte von allen seinen Leuten die besten Voraussetzungen, den verirrten Kameraden zu finden und zurückzubringen, ohne dass jemand davon Wind bekäme. Im Falle meines Scheiterns wäre mit dem Ausbruch einer handfesten internationalen Krise zu rechnen.«
»Welch noble Mission«, sagte Mina.
»Richtig.« Seine Lippen verzogen sich zu einem düsteren Lächeln. »Sehr nobel, um nicht zu sagen brandgefährlich. Aber es war genau das, worauf ich bei meinem Eintritt in die Armee gehofft hatte. Die ultimative Chance, der Welt zu beweisen, dass ich aus anderem Holz geschnitzt war als mein Vater.«
Als Mina spürte, dass er die Hand wegziehen wollte, umfing sie sein Handgelenk, woraufhin sie unweigerlich wieder an seine Narbe erinnert wurde. »Sie sind nicht einmal ansatzweise wie er.« Dessen war Mina sich sicher. Männer wie sein Vater erkannte sie bereits aus der Ferne, eine Fähigkeit, die sie einzig und allein Collins zu verdanken hatte.
»Ich habe alles darangesetzt, um anders zu sein«, erklärte er. »Aber Ridland hat mir das sehr schwer gemacht.«
»Der Offizier war also Ridland.«
»Ja.« Phin starrte auf die Wand, als er weitersprach. »Was er mir jedoch verschwiegen hat, war, dass der Mann absichtlich in das Gebiet eingedrungen war, um die Autorität des Vizekönigs zu untergraben. Der Mann hatte alles getan, die Suche nach ihm so schwer wie möglich und sein Auffinden so öffentlich wie möglich zu machen. Er hoffte, dadurch einen Krieg vom Zaun brechen zu können. Außerdem hatte man mir seinerzeit verschwiegen, dass die Regierung als auch die in diese Sache involvierten Stellen abstreiten würden, mich in das Krisengebiet entsandt zu haben, sollte ich festgenommen
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