Die Wahrheit deiner Berührung (German Edition)
wie?«
Es verstand sich von selbst, dass er ihr die Antwort schuldig blieb. Wie ein ausgestreckter Zeigefinger bohrte sich der Türgriff in Minas Rücken. Sie tat einen tiefen Atemzug. Der bittere Geruch des Chinins, das Jane dem Kranken verabreicht hatte, hing noch in der Luft.
Konnte es sein, dass Monroe mit ihrem Stiefvater unter einer Decke steckte? Das würde zumindest sein Wissen erklären. Aber warum gab er vor, Amerikaner zu sein?
Der Aufruhr in Minas Innern verlangte nach einem Ventil. Sie schlang die Arme um sich und lief zwischen Waschstand und Fenster im Kreis umher.
»Nach Bantry«, murmelte Monroe. »Drei Schiffe.«
Er hatte recht. Ihr Stiefvater hatte drei Schiffe im Hafen, von denen nur zwei offiziell ihm gehörten. Das dritte sollte nach Bantry auslaufen.
Sie setzte sich auf den Rand des Bettes und musterte Monroe. Es schien, dass er doch kein typischer Vertreter seines Geschlechts war. Mit einem Mal fand sie ihn noch sehr viel faszinierender als in ihren Träumen. War er überhaupt ein Geschäftsmann? Die Tätigkeit, Geheimnisse durch Täuschung zu sammeln, nannte man landläufig Spionage.
Gesetzt den Fall, er war ein britischer Spion, dann war er gekommen, um ihrem Stiefvater das Handwerk zu legen. Vermutlich war es wegen Collins’ Waffenlieferungen an die Fenier, die für die Unabhängigkeit Irlands kämpften.
Mina merkte, dass sie an den Fingerknöcheln nagte. Es war eine alte und ausgesprochen schlechte Gewohnheit. Unzählige Gouvernanten hatten bereits versucht, sie ihr auszutreiben, indem sie ihr mit dem Rohrstock gedroht oder ihn auch manches Mal eingesetzt hatten. Das Aushängeschild einer Lady sind ihre Hände . Sie biss fester zu. Wenn Monroe der Waffen wegen hier war, würde Collins ihn umbringen, ohne mit der Wimper zu zucken. Collins verabscheute Lügner und hasste es, wenn jemand seine Pläne durchkreuzte. Mina dachte daran, was damals in Manhattan geschehen war. Ein neu eingestelltes Dienstmädchen war in Collins’ Arbeitszimmer gegangen, um dort sauber zu machen. Es hatte nicht gewusst, dass nur Collins’ persönlicher Sekretär die Befugnis hatte, diesen Raum unbeaufsichtigt zu betreten. Kurz danach verschwand das Dienstmädchen, und unter den Bediensteten ging das Gerücht umher, es sei in einem Armenviertel im Süden Manhattans tot aufgefunden worden.
Beim Allmächtigen. Mina ließ die Hand sinken. Was hatte ihre Mutter vorhin gesagt? Gerard hat heute mit jemandem aus Chicago gesprochen, der sagt, dass er keinen Mr Monroe kennt .
Wie von der Tarantel gestochen sprang Mina auf. Ich muss hier raus, schoss es ihr durch den Kopf. Wenn Collins glaubte, dass sie über Mr Monroe im Bilde war und ihn nicht informiert hatte, bedeutete das nichts Gutes für sie. O gewiss, er behauptete, sie zu lieben, aber Selbiges sagte er auch von ihrer Mutter. Er liebte das Bild einer harmonischen Familie, zu dem sie beitrugen. Zumindest nach außen gab er sich als Christenmensch.
Zwei Schritte vor der Tür wurde ihr bewusst, wie kopflos sie reagierte – und das einzig aus Angst vor Collins. Den Blick starr auf den Türgriff gerichtet, blieb Mina stehen. Mr Monroe murmelte im Delirium; hilflos wie ein Kind gab er Dinge preis, die ihn ins Unglück stürzen konnten.
Sie würde nicht zulassen, dass dieses Scheusal von Stiefvater sie panisch machte.
Sie drehte sich zum Bett um und presste die Hand auf die Brust. Ihr Herz schlug so heftig, dass sie glaubte, ihre Rippen könnten jeden Augenblick bersten. Ihr Bauchgefühl hatte sie also doch nicht getrogen. Monroe gehörte nicht zu Collins’ Leuten, sondern war sein Feind. Er war kein Investor, sondern ein Spion.
Bei genauer Betrachtung ergab alles Sinn. Früher am Abend, in seinem makellosen maßgeschneiderten Frack und mit dem spöttischen Grinsen, hatte Monroe den Eindruck des selbstbewussten Geschäftsmanns erweckt. Es wäre ihr nicht schwergefallen, sich vorzustellen, wie er einen Schläger anheuerte, um einen seiner Konkurrenten vom Feld zu prügeln. Doch jetzt, mit hochgekrempelten Ärmeln, die seine muskulösen Unterarme freilegten, wirkte er eher wie ein Mann, der an schwerere Arbeiten als das Ausstellen eines Bankwechsels gewöhnt war. Er wirkte durchtrainiert genug, um selbst als Schläger zu fungieren.
Mina atmete tief durch und trat wieder an das Bett. Noch nie war sie einem Mann begegnet, dem sie zugetraut hatte, dass er ihrem Stiefvater die Stirn bot. Dies war womöglich die Gelegenheit, sich erneut mit dem Thema zu
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