Die Wahrheit deiner Berührung (German Edition)
beschäftigen. Unter Umständen blieb ihr das Risiko erspart, dem Konsul einen Besuch abzustatten.
Die Haare klebten ihm auf der Stirn. Sie beugte sich vor, um sie wegzustreichen, und ertappte sich dabei, wie sie eine Strähne zwischen den Fingern rieb. Sie fühlte sich so weich und dick an, wie sie es vermutet hatte. Ein sattes, tiefes Braun, fast so dunkel wie Ebenholz. Es passte gut zu seinen Augen und seinem Teint, der einige Nuancen zu dunkel war für jemanden, der überwiegend in geschlossenen Räumlichkeiten seinen Geschäften nachging. »Sie werden mit jedem Augenblick interessanter«, murmelte Mina. Doch seine gebräunte Haut war entsetzlich gerötet und seine Atmung angsterregend flach. »Oh, Mr Monroe … Ich glaube, wenn Sie langweiliger wären, ginge es Ihnen jetzt nicht so schlecht.«
Er gab einen leisen Laut von sich. Einen Laut, der an das Wimmern eines Welpen erinnerte. Was für ein schlechter Vergleich. Der Mann vor ihr war fast zu groß für das Bett und hatte im Delirium einen der Diener quer durch den Raum geschleudert. Spione waren von Natur aus gefährlich. Und sie war nur eine wehrlose Frau.
Das durfte sie nicht vergessen. Denn womöglich war sie es, die in Gefahr schwebte, wenn er wieder zu sich kam. Immerhin kannte sie jetzt sein Geheimnis.
Ein bitterer Geschmack breitete sich in ihrem Mund aus. Es hätte Übelkeit sein können, doch seltsamerweise war es Wut. Hätte Monroe ihr nicht vertrauen können? Immerhin spielte sie sehr glaubhaft die liebende Stieftochter; weniger ließ Collins nicht gelten. Wenn Monroe doch nur die Wahrheit erkannt hätte – wenn sie doch nur mit ihm geredet hätte. Nur zu gern hätte sie ihm alles anvertraut, ihm jede noch so kleine Information geliefert. Nur zu gern würde sie ihm jetzt und hier eine Pistole in die Hand drücken und ihn zu den Zimmern ihres Stiefvaters führen – wenn er laufen könnte. Wie rücksichtslos von ihm, ausgerechnet jetzt krank zu werden. Ein höchst ungeeigneter Zeitpunkt. Angenommen, Collins hatte ihn bereits im Verdacht, mit falschen Karten zu spielen, dann würde er noch vor dem Morgengrauen tot sein. Es grenzte beinahe an ein Wunder, dass er nicht schon in derselben Stunde den Tod gefunden hatte, in der Collins vom Club zurückgekehrt war.
Mina hielt den Atem an.
Es erinnert mich stark an Belladonna.
So schnell sie konnte lief sie zu dem kleinen Kasten mit den Medikamenten.
Jemand gab murmelnd seine Geheimnisse preis. Da waren sie, die Fakten, die Phin mehr als sein Leben gehütet hatte, und die jetzt wie Kinderreime heruntergesagt wurden. Er wusste, was das bedeutete. Dass jemand diese Nacht nicht überleben würde.
Eine Woge aus Licht rollte über ihn hinweg und schoss ihm in die Knochen, bis sie brannten und schmolzen. Tränen strömten ihm aus den Augen, Schweiß rann über seine Schläfen. Er würde die Augen erst öffnen, wenn er es schaffte zu fokussieren, wenn er in das grelle Licht schauen konnte.
Doch dann begann es zu flackern. Asche und Dunkelheit. Jemand hustete. Das Husten eines alten Mannes, dem Tode nahe. Kurz vor seinem Tod hatte sein Vater Blut gespuckt, seine fahle Haut hatte gelblich geschimmert, als Phin ihn endlich gefunden hatte. Es war derselbe Farbton wie die abblätternde Tapete und mindestens so ausgetrocknet. Beim Allmächtigen, wenn er nur an dieses Rattenloch in Calais dachte. Er würde Gott auf Knien danken, wenn er nie wieder dorthin zurück müsste. Der Gestank des Todes um ihn herum – Blut, Exkremente und Fäulnis –, der hinter den Sockelleisten emporkroch. Der alte Mann wurde immer wütender. Phin leerte seine Taschen: Ich lüge nicht. Ich kann dir kein Geld geben . Wieder überfiel den Alten ein Hustenanfall, und er rang keuchend nach Luft. Ohne Unterlass schüttelte er den Kopf. Das Fieber hatte ihm schon lange vor der Krankheit den Verstand geraubt, damals, als er nur Karten und Hochprozentiges im Sinn gehabt hatte. Als er wieder zu Atem gekommen war, sagte er: Sei verflucht, Phin. Du lügst . Ein Fluch nach dem anderen wurde gegen Phin geschleudert. Als er sich schließlich wegdrehte, musste er sich das Gesicht säubern. Der Alte hatte beim Sprechen Blut gespuckt.
»Wachen Sie auf!«
Augen. Blau und kalt wie der Winterhimmel und die Tiefen des Ozeans. Wie gebannt starrte Phin in die Tiefen der Farbe, und allmählich beruhigte sich sein Geist wieder. Diese Augen – er glaubte sie zu kennen. »Schweigen Sie«, sagte eine Stimme. Er sah auf die Lippen, die gesprochen hatten.
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