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Die Wahrheit deiner Berührung (German Edition)

Die Wahrheit deiner Berührung (German Edition)

Titel: Die Wahrheit deiner Berührung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
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Quietschen der Bremsen und die am Fenster vorbeiziehenden Dampfschwaden, die das Abteil in ein schummeriges Licht tauchten, kündigten an, dass sie in den Bahnhof eingefahren waren. Minas Blick glitt erst nach draußen, dann zu Phin. Das Lächeln, das ihre Lippen erobern wollte, entfaltete sich wie die aufgehende Sonne. Er spürte, wie etwas in seinem Inneren einen Hüpfer machte. Er täte besser daran, einen kühlen zu Kopf bewahren und sich nicht ablenken zu lassen.
    »Shrivenham«, rief der Schaffner. »Alle Passagiere mit dem Ziel Shrivenham bitte aussteigen.«
    »Einen Moment«, sagte Phin an Mina gewandt, erhob sich und wollte auf den Flur hinaustreten.
    Überrascht starrte der Rothaarige ihn an und machte ebenfalls Anstalten, sich zu erheben. Als er jedoch sah, dass Miss Masters sitzen blieb, nahm er Abstand davon. Mehr brauchte Phin nicht als Beweis. Er drehte sich um und tat als würde er stürzen, damit er einen Vorwand hatte, dem Mann mit dem Ellbogen einen kräftigen Hieb in die Seite zu versetzen.
    Laut keuchend klappte der Rothaarige zusammen. Mit raschelnden Röcken und in eine Lavendelwolke eingehüllt zwängte Mina sich an Phin vorbei. Ein kurzer Blick bestätigte, dass sie im nächsten Augenblick bereits den Korridor hinabeilte.
    »Beim Allmächtigen!«, murmelte die Matrone.
    »Ich bin untröstlich«, sagte Phin. »Mein Gott, geht es Ihnen gut?«
    Der Mann rang nach Luft. »Ich … Zur Hölle mit Ihnen.«
    Die Matrone zog hörbar die Luft ein. Doch da ahnte sie noch nicht, dass ihr gleich ein um Längen größerer Schock bevorstand. Wenn der Bursche noch reden konnte, war der Job noch nicht erledigt. Phin legte dem Mann die Hand auf die Schulter, als wollte er sich entschuldigen und drückte mit aller Kraft zu. Er war ein wenig aus der Übung, und als er ein Stechen in seiner Armmuskulatur spürte, überfiel ihn zu seinem Schrecken für den Bruchteil einer Sekunde die Angst, das Manöver womöglich nicht durchzustehen.
    Das Gesicht des Mannes verfärbte sich tiefrot, ehe er nach vorne gebeugt zusammenklappte.
    »Gütiger Gott«, sagte Phin und wich nach hinten. »Er ist bewusstlos. Ich gehe und rufe Hilfe.«
    Doch wie der Zufall es wollte, hatte der Schaffner den Tumult mitbekommen und näherte sich mit zügigen Schritten dem Abteil. Phin ließ ihn passieren, schnappte sich seine Tasche, hastete den Flur entlang und sprang aus dem Zug, was Miss Masters mit einem freudigen Applaus quittierte.
    »Wunderbar!«, rief sie entzückt. »Ich habe alles durch das Fenster mit angesehen.«
    Eilig packte Phin sie beim Arm und führte sie vom Bahnsteig herunter, vorbei an dem schmalen Garten des Bahnhofvorstehers, in dem ein Meer aus weißen und roten Blüten in der Brise wogte. Die sonnendurchflutete Szene wirkte so surreal, als stammte sie von der Hand eines Künstlers, der nur die Primärfarben kannte und noch nie etwas von Schattierungen gehört hatte. Eigentlich sollte es Phin zutiefst beunruhigen, dass er sich so gottverdammt lebendig fühlte. Ob er es je lernen würde, subtilere Freuden zu schätzen?
    Miss Masters zumindest schien dafür zugänglich zu sein. Sie riss sich los, lief hüpfend weiter und drehte sich freudig zu ihm um. Ihre Augen leuchteten so blau wie der Himmel hinter ihr, ihr Haar strahlte mit der Sonne um die Wette. Sie war alles andere als eine subtile Freude. »Den Trick müssen Sie mir unbedingt beibringen«, sagte sie. »Jemanden zu kneifen, bis er ohnmächtig wird.«
    Ihr Enthusiasmus wirkte wie ein Gegengift, und Phin spürte, wie seine Hochstimmung bröckelte. »Wenn man es falsch angeht, kann der Gegner zu Tode kommen.« Das hatte er aus allererster Hand erfahren. Besser als ihm lieb war, erinnerte er sich an das leise Seufzen, das der Mann im Augenblick des Todes von sich gegeben hatte. Der Mann war ein Verbrecher gewesen, der viele Menschen ins Elend gestürzt und kräftig daran verdient hatte. Doch irgendwo auf der Welt hatte vermutlich jemand um ihn geweint. So war es eigentlich fast immer.
    Ich habe um ihn geweint . Seine Tränen hatten ihn damals verblüfft. Ihm selbst zuliebe und in dem Wissen, dass solche Dinge immer wieder passieren konnten, hatte Phin sich nicht eingestehen können, dass er im Grunde auch um sich selbst geweint hatte.
    »Vielleicht wüsste ich aber gern, wie man jemanden tötet.«
    Hätte sie diese Worte nicht so ruhig ausgesprochen, hätte er womöglich eine beißende Antwort gegeben. Stattdessen musterte er sie eingehend und glaubte, den Anflug eines

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