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Die Wahrheit der letzten Stunde

Die Wahrheit der letzten Stunde

Titel: Die Wahrheit der letzten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Colin und sein Anwalt Armani tragen. Sie hält sich kerzengerade, so als könnte ihre Körperhaltung die Entscheidung des Richters irgendwie beeinflussen.
    »Mariah«, flüstert Colin hinter dem Rücken seines Rechtsanwalts, aber der Mann fordert ihn sofort auf, still zu sein.
    Der Richter an seinem Tisch schreibt, seit sie eingetreten sind, an irgendetwas, und obwohl es bereits nach drei Uhr ist, haben weder Joan noch der gegnerische Anwalt bisher Anstalten gemacht, ihn an die Anhörung zu errinnern. Mariah bemerkt erst jetzt, dass der Richter Kopfhörer trägt. Sie sind sehr klein, ähnlich jenen, wie sie Nachrichtensprecher tragen - sie werden über die Ohrmuschel gestreift wie ein Hörgerät. Der Richter greift unter seinen Schreibtisch, betätigt dort irgendeinen Schalter und nimmt die Kopfhörer ab. »Also gut«, sagt er und wendet sich Colins Anwalt zu, den Mariah glaubt, aus den Regionalnachrichten im Fernsehen zu kennen. »Mr. Metz, was haben Sie vorzutragen?«
    Der Mann streicht mit einer katzenhaft geschmeidigen Bewegung, die Mariah an ein Frettchen erinnert, seine Krawatte glatt. »Es geht um Leben und Tod, Euer Ehren. Mariah White bringt das Leben der Tochter meines Mandanten in Gefahr.
    Mariah fühlt, wie die Blicke aller sich auf sie richten. Brennende Röte steigt an ihrem Hals hinauf.
    »Euer Ehren, mein Mandant hat erst kürzlich von dem Affenzirkus erfahren, zu dem das Leben des Kindes geworden ist, sowie von der Gefahr, der es ständig ausgesetzt ist. Er ist in der Lage, ihr die Geborgenheit und Sicherheit zu geben, die das Mädchen braucht, und er hält es für überaus wichtig, dass man seine Tochter der Obhut ihrer Mutter wegnimmt. Darum haben wir auch eine einseitige Anhörung beantragt, und darum sind wir auch sicher, dass Sie meinem Mandanten das alleinige Sorgerecht übertragen werden. Zu Faith’ Sicherheit möchten wir, dass sie unverzüglich aus dem Haus ihrer Mutter entfernt wird, bevor sie einen irreparablen Schaden erleiden kann.«
    Richter Rothbottam schürzt die Lippen. »Es ist erst sechs Wochen her, dass Ihr Mandant das Sorgerecht seiner Ex-Frau überlassen hat, was mich zu der Annahme veranlasst, dass er das Wohl seines Kindes zum damaligen Zeitpunkt noch nicht als gefährdet ansah. Soweit ich sehe, ist das Einzige, das sich in der Zwischenzeit verändert hat, der kleine Presseauflauf vor dem Haus. Was ist daran lebensbedrohlich?«
    »Abgesehen von dem psychischen Stress täglicher Auftritte vor der Presse musste die Tochter meines Mandanten wegen schwerer Traumata an beiden Händen stationär behandelt werden.«
    »Traumata?«, schimpft Joan. »Euer Ehren, es gibt keinen medizinischen Beweis dafür, dass Faith’ Verletzungen traumatischer Natur sind. Gleich mehrere Ärzte haben das bestätigt, und wie Sie sicher wissen, geht es im vorliegenden Fall um etwas, das Mr. Metz zu ignorieren vorzieht, nämlich, dass das Kind offenbar Wunder vollbringt und zu Gott spricht. Und was die Medien betrifft, so kann man sicher nicht meiner Mandantin zur Last legen, dass sie ihr Haus belagern. Meine Mandantin hat alles Menschenmögliche getan, um ihrer Tochter trotz des Medieninteresses ein weitgehend normales Leben zu ermöglichen. Die von Mr. Metz’ angeführte Gefährdung ist nichts anderes als ein durchschaubarer Versuch, einen schwachen Fall in eins dieser medienwirksamen hochdramatischen Spektakel zu verwandeln, für die er offenbar eine Schwäche hat.«
    Mariah kann den Blick nicht von Joan Standish losreißen. Sie hat ihre Anwältin noch nie so viele Sätze am Stück sprechen hören, und erst recht nicht mit solcher Vehemenz.
    Richter Rothbottam schnaubt. »Also, Ms. Standish, das war aber ebenfalls ziemlich theatralisch, wie ich finde.«
    Metz beugt sich auf seinem Stuhl vor wie ein Stier kurz vor dem Angriff. »Euer Ehren, Ms. Standish versucht zu verschleiern, dass hier ein Kind in Gefahr ist. Als mein Mandant seine Frau vor drei Monaten verlassen hat, war seine Tochter ein völlig normales und ausgeglichenes kleines Mädchen. Jetzt leidet sie unter psychotischen Halluzinationen und ernsthaften körperlichen Wunden. Ich möchte Sie eindringlich bitten, in diesem Fall auf Nummer Sicher zu gehen und meinem Mandanten bis zur Verhandlung das vorübergehende Sorgerecht zu erteilen.«
    Joan ignoriert Metz völlig. »Euer Ehren, die Scheidung war für Faith schon schwer genug zu verkraften. Das letzte Mal, als sie ihren Vater gesehen hat, war er halb nackt und amüsierte sich mit einer

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