Die Wahrheit der letzten Stunde
Mutter halten, wenn du möchtest.«
Ian nickt ernst. »Danke.« Er zögert einen Moment. »Darf ich auch deine halten?«
Langsam streckt Faith die Hand mit dem Pflaster aus. Ians Finger schließen sich vorsichtig um ihre. Er wirft nicht einen Blick auf das Pflaster, schenkt dem mutmaßlichen Wundmal keinerlei Beachtung.
Vielleicht, nur vielleicht, hat Faith ja tatsächlich ein Wunder bewirkt.
Millie Epstein öffnet die Haustür. Sie hat Mariah und Faith erwartet, aber stattdessen hat sie wieder einen Mann mit schwarzem Hemd und weißem Stehkragen vor sich. »Was machen die denn drüben in Rom? Klonen die Figuren wie Sie?«
Vater Rampini richtet sich zu seiner vollen Größe von einem Meter fünfundsiebzig auf.
»Ma’am, ich bin hier, um im Auftrag Seiner Exzellenz, Bischof Andrews aus Manchester, mit Faith White zu sprechen.«
»Wer hat ihn darum gebeten, sich einzumischen?«, will Millie wissen. »Ich will ja nicht unhöflich sein, aber ich halte es für höchst unwahrscheinlich, dass meine Tochter oder meine Enkelin Seine Hoheit…«
»Seine Exzellenz …«
»Wie auch immer«, fällt Millie ihm ins Wort. »Hören Sie, wir hatten schon mehr Geistliche hier als auf der Saint Patrick’s Day-Parade in New York. Ich bin sicher, dass einer von denen Ihnen alle Fragen beantworten kann. Guten Tag.«
Sie beginnt, die Tür zu schließen, aber der Priester hat einen Fuß in den Türspalt geschoben. »Mrs….?«
»Epstein.«
»Mrs. Epstein, Sie behindern eine Untersuchung der Römisch Katholischen Kirche.«
Millie mustert ihn einen Moment schweigend. »Und?«
Vater Rampini ist ins Schwitzen geraten. Inzwischen fragt er sich, ob es nicht doch besser gewesen wäre, das Angebot dieses unausstehlichen Vater MacReady anzunehmen, ihn hierher zu begleiten. Vorhin war ihm die Vorstellung, zwanzig Minuten mit diesem lächerlich liberalen Priester auf irgendwelchen Landstraßen zu verbringen, als eine Strafe erschienen, wie sie keinem Mann Gottes auferlegt werden sollte. Aber da hatte er ja noch nichts von diesem Drachen als Türwächter geahnt.
»Also gut«, sagt er. »Warum bringen wir es nicht hinter uns?«
»Wie meinen?«
»Sie mögen mich nicht, Mrs. Epstein. Sie mögen Priester nicht. Tun Sie sich keinen Zwang an, sagen Sie mir ruhig, warum.«
»Sehen Sie? Sie hören meinen Namen, wissen, dass ich Jüdin bin, und gehen sofort davon aus, dass ich voreingenommen bin.«
Vater Rampini knirscht mit den Zähnen. »Ich bitte um Entschuldigung. Ist Faith da?«
»Nein.«
»Warum bloß überrascht mich das nicht«, sagt er trocken.
Millie verschränkt die Arme über der Brust. »Ach, dann schimpfen Sie mich jetzt also auch noch eine Lügnerin? Als nächstes bin ich dann eine Art Kredithai, nehme ich an.«
»Ebenso wenig wie ich ein Bing-Crosby-Doppelgänger bin, der zu viel trinkt und Ministranten verführt«, entgegnet Rampini gepresst. »Ich könnte auch den Polizisten um Hilfe bitten, der Ihre Zufahrt bewacht.«
»Glücklicherweise haben wir schon vor langer Zeit Kirche und Staat getrennt«, sagt Millie kalt. »Meine Enkeltochter ist nicht zu Hause, und zwar wegen Ihnen allen.«
Rampini fühlt einen Muskel unten an seinem Kiefer zucken. Das ist die wiederauferstandene Großmutter? Und was hat sie mit >Ihnen allen< gemeint? Wer hatte das Mädchen vertrieben?
Er blickt in ihr abweisendes, faltiges Gesicht und sieht in einem Aufflackern ihrer Augen die grenzenlose Trauer darüber, dass es so hat kommen müssen. Einen Moment fühlt er sich sogar schuldig. »Mrs. Epstein, wenn Sie ein paar Bedingungen aufstellen würden, könnte ich mich mit dem Bischof besprechen, und wir könnten vielleicht einen Kompromiss finden, Faith zu untersuchen, ohne sie … oder sonst jemanden aufzuregen.«
Die Frau schnaubt verächtlich. »Glauben Sie, ich wäre von gestern?«
»Nach allem, was ich gehört habe, ist das gar nicht so falsch.«
»Wo ist Ihr Kollege? Dieser nette Priester?« Millie blickt sich suchend nach Vater MacReady um. »Mariah mag ihn.« Dann kneift sie die Augen zusammen. »Ziehen Sie hier eine Guter-Bulle/Böser-Bulle-Schau ab?«
Vater Rampini hat inzwischen Kopfschmerzen. Er ist zu dem Schluss gekommen, dass diese Frau ihnen sehr nützlich hätte sein können … während der Inquisition. »Wir sind keine Partner, das schwöre ich bei Gott.«
»Ach?«, meint Millie. »Bei welchem? Ihrem oder meinem?«
Wir haben eine zweistündige Fahrt von Boston hinter uns, aber auch die Heizung des Mietwagens hat mich
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