Die Wahrheit der letzten Stunde
doch, dass ich Sie nicht umsonst eingestellt habe.«
New Canaan, New Hampshire
»Die Mutter wird Sie gar nicht erst in Faith’ Nähe lassen«, erklärt Vater MacReady und beobachtet seinen Besucher, der im kleinsten Gästezimmer des Pfarrhauses auf und ab geht. »Und ich kann es ihr nicht verübeln.«
Vater Rampini wirbelt in einer geschmeidigen Bewegung herum. »Und warum, wenn ich fragen darf?«
»Sie ist Jüdin. Wir haben kein Recht, dort zu sein.«
»Sie lästert Gott«, widerspricht Vater Rampini. »Wenn wir schon keine Gewalt haben über die Person, die diese absurden Behauptungen aufstellt, können wir wenigstens Einfluss nehmen auf das, womit sie anständige Katholiken in die Irre führt.« Er greift nach einer Jacke und hängt sie in den Schrank. »Sie widersprechen doch sicher einer weiblichen Erscheinung?«
»Nein. Die Kirche hat zahlreiche Marienerscheinungen als authentisch anerkannt.«
»Sprechen wir hier etwa von Maria? Nein. Gott in einem Kleid, Gott als Mutter.« Rampini runzelt die Stirn. »Sie haben damit kein Problem?«
Vater MacReady wendet sich ab. Er hat ein Gelübde abgelegt, das ihn verpflichtet, den Rest seines Lebens anderen zu helfen, aber das vermag den gelegentlichen Impuls nicht zu ersticken, einem besonders engstirnigen Kollegen eins auszuwischen. Er setzt sich an den kleinen Tisch und trommelt mit den Fingern auf die Oberfläche, wobei er wie verstohlen den Stapel Bücher studiert, die Rampini dort hingelegt hat, zusammen mit einem religiösen Kalender, der am 7. November aufgeschlagen ist. Heiliger Albinus, liest er. Wenn er sich recht erinnert, hat der heilige Albinus einen bösen Menschen getötet, indem er ihm ins Gesicht gepustet hat.
»Vielleicht sieht Gott für eine Siebenjährige einfach anders aus«, sinniert Vater MacReady.
»Sagen Sie das den Kindern in Fatima«, entgegnet Rampini trocken. »Drei Kinder, die - anders als Faith White - alle dieselbe Marienerscheinung gesehen haben. Sie haben nicht behauptet, sie hätte Hosen getragen oder Wasserpfeife geraucht. Sie haben die Heilige Jungfrau so gesehen, wie sie gemeinhin dargestellt wird.«
»Aber nicht jeder hat solch traditionelle Visionen. Die heilige Bernadette hat beispielsweise behauptet, die Heilige Jungfrau habe in französischem Patois zu ihr gesprochen.«
»Kulturelle Eigenarten sind nicht ausschlaggebend an einer Erscheinung. Was heißt es schon, dass die Jungfrau auf Französisch zu Bernadette gesprochen hat? Sie war selbst noch zu unwissend, um zu verstehen, was Maria meinte, als sie von der Unbefleckten Empfängnis sprach.« Rampini schloss den Reißverschluss seines Matchbeutels und schob ihn unter das Bett. »Alles, was Sie mir bisher erzählt haben, und alles, was ich über sie gelesen habe, lässt darauf schließen, dass sie eine Betrügerin ist. Es handelt sich um eine Halluzination, die zu einer gewissen Hysterie geführt hat. Wenn Faith White tatsächlich Gott sähe, gibt es keinen Grund, weshalb er ihr in Gestalt einer Frau erscheinen sollte. Entweder handelt es sich bei einer Erscheinung um Jesus Christus oder nicht.« Er zuckt die Achseln. »Ich neige eher dazu, ihre Visionen als satanisch denn als göttlich zu betrachten.«
MacReady fährt mit den Fingern über den Tisch und wirbelt eine kleine Staubwolke auf. »Es gibt ganz konkrete, objektive Beweise.«
»Richtig. Die Wiederauferstehung und die Heilung. Ich werde Ihnen mal ein kleines Berufsgeheimnis verraten: Ich habe von Lourdes, von Guadeloupe und Hunderten anderer gelesen, aber mir ist in meinem ganzen Leben noch niemand begegnet, der wahre Wunder hätte bewirken können.«
Joseph MacReady sieht ihm fest in die Augen. »Für einen guten Katholiken, Vater, haben Sie in dem, was Sie sagen, erstaunliche Ähnlichkeit mit einem Pharisäer.«
Ich liege noch im Halsbchlaf, als ich von dem Sitz neben Faith Ians Stimme höre. »Ich hatte noch keine Gelegenheit, dir zu danken.« Ich befehle meinen Augen, sich nicht weiter als einen Spalt breit zu öffnen, und höre einfach zu.
Faith antwortet nicht. »Du warst es, nicht wahr?«, beharrt Ian. »Du hast Michael diese paar Minuten Klarheit geschenkt.«
»Ich habe gar nichts getan.«
Ian schüttelt den Kopf. »Das glaube ich dir nicht.«
»Sie glauben vieles nicht.«
Er lächelt. »Nenn mich Ian. Und sag >du<.«
»Okay.« Sie mustern einander. Faith streicht ihre Bluse über der Brust glatt, und Ian nimmt das übergeschlagene Bein herunter. »Ian? Du darfst die Hand meiner
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