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Die Wahrheit der letzten Stunde

Die Wahrheit der letzten Stunde

Titel: Die Wahrheit der letzten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Faith White erfährt, desto schwieriger wird es, sie und ihre Behauptungen einfach abzutun.
    Gestern hat er mit zahlreichen Reportern vor dem Haus gesprochen und versucht, eine geheime Absprache bezüglich irgendwelcher Buchrechte aufzudecken oder Gerüchte über ein Exklusivinterview mit einem bestimmten Fernsehsender. Historisch betrachtet haben die wahren Propheten nie und in keiner Weise Kapital daraus geschlagen, dass sie von Gott auserwählt wurden. Hätte er auch nur den geringsten Hinweis auf Selbstverherrlichung entdeckt, er hätte noch am Nachmittag die Heimfahrt angetreten.
    Also gut, sie war also nicht darauf aus, reich und berühmt zu werden, indem sie sich als Visionärin ausgab. Aber ebenso wenig gab es Beweise - abgesehen von Faith Whites angeblichen Visionen — wie die Quelle in Lourdes, die Kranke heilt, oder das nicht von Menschenhand erschaffene Bildnis der Heiligen Jungfrau, das dem gesegneten Juan Diego übergeben wurde und nach vierhundert Jahren immer noch in seinem Schrein in Mexico City zu bewundern war. So argumentierte er auch Vater MacReady gegenüber, der zu Rampinis Verärgerung kaum von der Predigt aufblickte, an der er gerade in seinem Arbeitszimmer schrieb. »Sie vergessen, dass sie Heilkräfte besitzt«, wandte Vater MacReady ein.
    An diesem Morgen hatte Vater MacReady ihn zum Krankenhaus begleitet. Während der Gemeindepfarrer einige seiner Schäfchen besuchte, die in stationärer Behandlung waren, verbrachte Vater Rampini Stunden damit, die Arztberichte über Millie Epstein zu lesen, die zu keinem eindeutigen Schluss kamen. Die Frau war klinisch tot gewesen, soviel stand fest; und ebenso klar war, dass sie jetzt quicklebendig war. Und doch ging das Gerücht um, dass Faith ihre Großmutter ins Leben zurückgeholt hatte - ein Handauflegen, das Vater Rampini dubios vorkam.
    Der einzige Weg, zu beweisen, dass Faith White schlicht eine Lügnerin und Betrügerin war, würde darin bestehen, persönlich mit ihr zu sprechen. Und genau das hat er heute vor. Vater Rampini hat sich eine Drei-Phasen-Taktik zurechtgelegt: Zuerst wird er das mit der weiblichen Erscheinung klarstellen - Maria vielleicht, aber ganz sicher nicht Gott. Zweitens wird er beweisen, dass die Vision überhaupt nur der Phantasie des Kindes entsprungen ist. Und abschließend wird er die angeblichen Stigmata untersuchen und auflisten, warum sie nicht echt sein können.
    Vater MacReady bittet ihn, zu schweigen, während er ihn mit Mariah White bekannt macht, und Vater Rampini stimmt aus rein professioneller Höflichkeit zu. »Warten Sie bitte hier«, sagt die Frau. »Ich werde Faith holen.«
    Vater MacReady entschuldigt sich und sucht die Toilette auf - kein Wunder, der Berg von Würstchen, die er zum Frühstück verdrückt hat, würden jeden normalen Verdauungstrakt überfordern. Vater Rampini, der allein zurückbleibt, lässt den Blick um sich schweifen. Für eine alte Farm ist das Haus erstaunlich gut in Schuss; die offenliegenden Deckenbalken sind gerade und sandgestrahlt, die Böden auf Hochglanz poliert, Lack und Tapete überall tipptopp. Es sieht aus wie ein Heim aus Country Home, einmal abgesehen von den augenfälligen Hinweisen darauf, dass es bewohnt ist: eine Barbiepuppe steckt zwischen den Bananen einer dekorativen Obstschale, ein Kinderhandschuh ist wie eine Mütze über die Dekoholzkugel am unteren Treppenpfeiler gestülpt. Er sieht keine Palmsonntag-Kreuze hinter Spiegeln stecken, keine Sabbatkerzen auf dem Esszimmertisch, überhaupt nichts Religiöses.
    Er hört Schritte auf der Treppe und strafft die Schultern, bereit, die Ketzerin niederzustarren.
    Faith White kommt einen Meter vor ihm schlitternd zum Stehen und lächelt. Ihr fehlt ein Schneidezahn. »Hallo«, sagt sie. »Sind Sie Vater Rampenis?«
    Mariah White wird hochrot im Gesicht.
    »Rampini«, verbessert er sie. »Vater Rampini.«
    Der Gemeindepfarrer taucht lachend in der Tür auf. »Vielleicht solltest du ihn besser nur mit >Vater< anreden.«
    »Okay.« Faith nimmt Rampinis Hand und zieht ihn in Richtung Treppe. Rampini wird gleich zweierlei bewusst: Er fühlt raue Pflaster an seiner eigenen Handfläche und eine außergewöhnliche Anziehungskraft, wenn ihre Blicke sich treffen. Es erinnert ihn daran, wie er als Kind das erste Mal die geschlossene Schneedecke über der Farm seiner Eltern in Iowa gesehen hat - so funkelnd, so strahlend und rein, dass er den Blick nicht davon losreißen konnte. »Kommen Sie«, sagt sie. »Ich dachte, Sie wollten mit

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