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Die Wahrheit der letzten Stunde

Die Wahrheit der letzten Stunde

Titel: Die Wahrheit der letzten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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umzubringen.« Er blickt auf seinen Schoß. »Ich war schon für die ganze Misere verantwortlich. Ich wollte zur Abwechslung mal das Richtige tun.«
    Mariah fühlt, wie in ihrer Brust etwas loslässt. Zum ersten Mal zieht sie ernsthaft in Betracht, dass ihre Einweisung in Greenhaven nicht nur ihr selbst, sondern auch Colin wehgetan haben könnte.
    »Haben Sie Urlaub genommen, um bei Mariah sein und über sie wachen zu können?«, will Joan wissen.
    »Für kurze Zeit… aber es hat mir eine Heidenangst gemacht. Ich hatte Angst, sie würde durchdrehen, sobald ich ihr nur eine Sekunde den Rücken kehre.«
    »Haben Sie Ihre Schwiegermutter, die damals in Arizona lebte, gebeten, zu kommen, um sich um Mariah zu kümmern?«
    »Nein«, gibt Colin zu. »Ich wusste, dass Millie gleich das Schlimmste annehmen würde. Ich wollte nicht, dass sie glaubte, Mariahs Zustand würde sich nicht bessern.«
    »Und da haben Sie stattdessen eine richterliche Verfügung erwirkt und Mariah gegen ihren Willen in die Psychiatrie einweisen lassen?«
    »Sie wusste damals nicht, was sie wollte. Sie brachte ja nicht einmal die Energie auf, sich ins Bad zu schleppen, wie sollte sie mir da sagen, wie ich ihr helfen sollte. Was ich getan habe, habe ich allein im Interesse ihrer eigenen Sicherheit getan. Ich habe auf die Ärzte gehört, die meinten, eine Überwachung rund um die Uhr sei dringend angeraten.« Sein gequälter Blick begegnet Mariahs. »Man kann mir vieles vorwerfen, darunter auch Dummheit und Naivität. Aber keine Böswilligkeit.« Er schüttelt den Kopf. »Ich wusste einfach nicht, was ich sonst tun sollte.«
    »Hmmm. Kehren wir zurück in die Gegenwart. Sieben Jahre sind vergangen, und Ihre Frau erwischt sie wieder in flagranti.«
    »Einspruch!«
    »Stattgegeben.«
    »Nachdem Mariah von Ihrer Affäre erfahren hatte«, fährt Joan unbewegt fort, »fürchteten Sie, sie könnte wieder in Depressionen verfallen. Und da sind Sie einfach weggelaufen, anstatt sich die Zeit zu nehmen, alles mit ihr durchzusprechen?«
    »So war das nicht. Ich bin nicht stolz auf das, was ich getan habe, aber ich musste wirklich erst zu mir selbst finden, bevor ich die Verantwortung für jemand anders übernehmen konnte.«
    »Haben Sie sich keine Sorgen gemacht, dass Mariah überreagieren könnte, nachdem sie Sie genau wie vor sieben Jahren mit einer anderen Frau im Bett erwischt hatte?«
    »Doch, natürlich.«
    »Haben Sie versucht, Mariah seelischen Beistand zu verschaffen?«
    »Nein.«
    »Obwohl sie das letzte Mal in der gleichen Situation schwer depressiv geworden ist?«
    »Ich sagte doch bereits, dass ich an diesem Punkt nur an mich gedacht habe.«
    »Und doch haben Sie Ihre Tochter in Mariahs Obhut gelassen«, meint Joan.
    »Ich hätte nie geglaubt, dass Mariah ihr etwas antun könnte. Ich meine, Herrgott, sie ist ihre Mutter. Ich bin davon ausgegangen, dass es ihr gut gehen würde.«
    »Sie sind also davon ausgegangen, dass Mariah sich trotz Ihres Seitensprungs in der Gewalt haben würde.«
    »Ja.«
    »Und Sie sind ebenfalls davon ausgegangen, dass Faith bei ihr gut aufgehoben sein würde.«
    »Ja.«
    »Sie haben niemanden gebeten, zu Hause nachzusehen, um ganz sicherzugehen; Sie haben weder einen Arzt verständigt noch die Fürsorge, nicht einmal einen Nachbarn.«
    »Nein. Das war ein Fehler, den ich zutiefst bedaure, und ich bin bereit, die Verantwortung für meine Fehler zu tragen.«
    Joan geht brüsk am Zeugenstand vorbei. »Ich bin sicher, wir alle sind froh, dass Sie jetzt endlich soweit sind. Lassen Sie mich zusammenfassen. Wie Sie selbst gesagt haben, sind Sie der Annahme gewesen, Faith wäre bei Ihrer Ex-Frau besser aufgehoben als bei Ihnen. So wie Sie fälschlich angenommen haben, Sie müssten erst zu sich finden, bevor Sie überhaupt einen Gedanken an das Wohlergehen Ihrer Tochter verschwenden konnten. So wie Sie fälschlich angenommen haben, dass Ihre Frau in einer psychiatrischen Anstalt besser aufgehoben sein würde als bei einem Psychiater, der sie ambulant wegen ihrer Depressionen behandelt. So wie Sie heute fälschlich annehmen, Sie wären hier der geeignetere Elternteil.«
    Ehe Colin hierauf etwas erwidern kann, kehrt Joan ihm den Rücken zu. »Keine weiteren Fragen.«
     
    Dr. Newton Orlitz liebt den Zeugenstand. Etwas an dem glatten Holz unter seinen Händen und dem Geruch nach Möbelpolitur, der einem Gerichtssaal immer anhaftet, erfüllt ihn mit seliger Zufriedenheit in seinem langjährigen Job als Gerichtspsychiater. Er weiß, dass

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