Die Wahrheit der letzten Stunde

Titel: Die Wahrheit der letzten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult

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bestimmten Verhaltensweisen an«, sagt sie. »Hatten Sie bei Ihrem Gespräch mit Faith den Eindruck, dass sie von ihrer Mutter zu dem - sagen wir - nicht ganz alltäglichen Verhalten ermutigt wurde, das sie in letzter Zeit an den Tag gelegt hat?«
    »Nein.«
    »Danke. Nun, Doktor, Sie hatten Gelegenheit, beide Elternteile von Faith zu begutachten. Sie sagten bereits, dass Colin White Ihrer Meinung nach emotional stabil ist und in der Lage, einem Kind ein gutes Zuhause zu bieten. Hatten Sie von Mariah White auch den Eindruck, sie sei emotional stabil?«
    »Ja, sie kommt zur Zeit gut zurecht.«
    »Würden Sie sie als gute Mutter bezeichnen?«
    »Ja. Faith hängt sehr an ihr.«
    »Etwas anderes, Doktor. Wie viele Menschen in Amerika nehmen Ihrer Meinung nach verschreibungspflichtige Antidepressiva?«
    »Fast siebzehn Millionen, soweit ich weiß«, antwortet Dr. Orlitz.
    »Und in wie viel Prozent dieser Fälle wirken die Medikamente?«
    »Nun, wenn die Patienten sie über einen gewissen Zeitraum regelmäßig einnehmen und sich parallel hierzu therapieren lassen, liegt die Wirksamkeit bei annähernd achtzig Prozent.«
    »Beeinträchtigt Prozac die >Alltagstauglichkeit< der Patienten?«
    »Nein.«
    »Würde es sie in ihrer Tauglichkeit als Eltern beeinträchtigen?«
    »Nein.«
    »Dr. Orlitz, haben Sie mit Faith über den Nachmittag gesprochen, an dem ihr Vater die Familie verlassen hat?«
    »Ja, das habe ich.«
    »Hatte dieses Ereignis irgendwelche Auswirkungen auf sie?«
    »Sie hat die Dynamik der Erwachsenenbeziehung nicht verstanden - was ein Segen ist, wenn Sie mich fragen -, aber darum quält sie sich damit, dass sie schuld sein könnte am Weggehen ihres Vaters. Sie braucht diesbezüglich eine Therapie.«
    »Wie bedauerlich. Dann würden Sie also sagen, dass Colin White, auch wenn Sie ihn heute als fähigen Elternteil einstufen, in der Vergangenheit etwas getan hat, das Faith verletzt hat.«
    »Ja.«
    »Haben Sie Hinweise dafür gefunden, dass Mariah je etwas getan hat, was Faith in ähnlicher Weise verletzt hätte?«
    »Nein. Sie ist Faith in dieser Krisensituation ein Fels in der Brandung gewesen.«
    »Danke«, sagt Joan, wendet sich ab und nimmt wieder an der Seite ihrer Mandantin Platz.

    Richter Rothbottam kündigt eine kurze Unterbrechung an, und die Reporter stürzen aus dem Saal, um ihre Redaktionen anzurufen und den neuesten Stand durchzugeben. Metz führt Colin hinaus, und die beiden Männer verschwinden im Gedränge. Mariah rührt sich nicht von ihrem Platz weg, sondern stützt nur den Kopf auf die Hände.
    Joan legt ihr eine Hand auf die Schulter. »Man bezeichnet uns als Verteidigung, weil wir anfangen zu kämpfen, wenn die anderen fertig sind«, erklärt sie tröstend. »Es spielt keine Rolle, was sie sagen, Mariah, wirklich. Wir werden es ihnen um ein Vielfaches heimzahlen.«
    »Ich weiß«, sagt Mariah und massiert sich müde die Schläfen. »Wie viel Zeit haben wir?«
    Joan lächelt freundlich. »Etwa lange genug für einen Besuch auf der Toilette.«
    Mariah springt auf; sie hat es plötzlich sehr eilig, den Saal zu verlassen. Draußen auf dem Flur blickt sie in ein Meer von Gesichtern. Ihr Blick gleitet zu Ian hinüber, der in der Lobby darauf wartet, als Zeuge aufgerufen zu werden. Er tut so, als würde er sie nicht kennen.
    Das muss sein, sie haben darüber gesprochen. Aber jetzt, wo Millie bei Faith wacht, hätte sie einen starken Verbündeten brauchen können.
    Sie zwingt sich, den Blick über Ian hinweggleiten zu lassen. Es erfordert ihre ganze Willenskraft, an ihm vorbeizugehen, ohne zurückzuschauen, nur um zu sehen, ob er ihr nachblickt.

    Dr. DeSantis ist eine kleine stämmige Frau mit einer Wolke von schwarzen Haaren, die beim Sprechen auf und ab wippen. Sie listet ihren beeindruckenden Werdegang auf und lächelt dann Malcolm Metz an. »Dr. DeSantis«, sagt dieser, »hatten Sie Gelegenheit, mit Colin White zu sprechen?«
    »Gewiss. Mr. White ist ein wundervoller, fürsorglicher und emotional stabiler Mann, der sich nichts sehnlicher wünscht, als seine Tochter bei sich zu haben.«
    »Haben Sie mit Mariah White gesprochen?«
    »Nein«, entgegnet die Psychiaterin. »Sie hat ein Gespräch abgelehnt.«
    »Ich verstehe. Hatten Sie Gelegenheit, sich mit Dr. Johansens Beurteilung von Mariah White zu befassen?«
    »Ja.«
    »Was können Sie uns über ihre psychische Gesundheit sagen?«
    »Diese Frau hat in der Vergangenheit an schweren Depressionen gelitten. Diese Vorbelastung bedeutet eine