Die Wahrheit der letzten Stunde
wendet ruckartig den Kopf und blickt auf den Monitor hinter Faith’ Bett. »Sie kollabiert. Holen Sie den Defibrillator!« Der Arzt tritt an die Bettseite und beginnt mit einer Herzmassage.«
Minuten später drängen sich Schwestern und Ärzte im Raum. »Ressler, intubieren und beatmen Sie. Brustkompression fünfzehn pro Minute.« Der Arzt überprüft den Rhythmus von Faith’ Herzschlag und fährt fort, Anweisungen zu rufen. »Wyatt, leg einen Zugang und verabreiche ihr so schnell wie möglich einen Liter Ringerlösung. Und Abby, ich will ein vollständiges Blutbild, einschließlich Blutplättchen, und eine Probe soll im Labor auf Typ und Kreuzblut untersucht werden.«
»Ma’am, warum kommen Sie nicht mit mir, damit wir ihr helfen können?« Die Schwester führt Millie hinaus auf den Flur, wo sie sofort das Gesicht an die Glasscheibe der Kinderintensivstation drückt. Millie sieht, wie jemand Faith’ Krankenhausnachthemd aufreißt und die Defibrillatorpads an ihrer schmalen Brust anlegt. Ihr ist gar nicht bewusst, dass ihre eigene Hand sich über ihr eigenes starkes Herz gelegt hat.
Eine halbe Stunde später
Joan sitzt neben Millie im Besucherzimmer. Sie hat nie viel für Krankenhäuser übrig gehabt; dieses hier ist anders … und doch ist da etwas Undefinierbares, das sie noch nervöser macht als sonst. Sie lächelt Mariahs Mutter freundlich zu und ermuntert sie fortzufahren.
»Der Doktor«, erzählt Millie mit tränenerstickter Stimme, »er hat gesagt, dass die Prognose sehr gut ist, weil der Herzstillstand weniger als eine Minute gedauert hat. Ihre Luftröhre ist frei, und der Herzrhythmus ist gleichmäßig.«
Joan wirft einen Blick auf das reglose Mädchen in dem Krankenhausbett. »Sie sieht nicht gut aus.«
»Aber sie haben ihr Herz unter Kontrolle, und das Fieber ist gefallen. Das Einzige, was sie irgendwie nicht schaffen, ist, die Blutung zu stoppen.« Millie atmet tief durch. »Wie lange dauert es noch, bis Mariah kommt?«
»Diesbezüglich muss ich mit Ihnen sprechen. Mariah kann nicht herkommen.«
»Ist ihr etwas passiert?«
»Es geht ihr gut. Es wurde nur ein Gerichtsbeschluss erlassen, der ihr den Kontakt zu ihrer Tochter untersagt. Das haben wir Richter Rothbottam und Malcolm Metz zu verdanken. Sie glauben, sie würde ihre Symptome hervorrufen.«
»Das … das ist doch lächerlich!«, stammelt Millie.
»Sie und ich wissen das, aber einen Gerichtsbeschluss ignoriert man nicht so einfach. Ich brauche Ihre Hilfe. Sie müssen bei Faith bleiben und Mariah auf dem Laufenden halten.«
»Sie darf nicht einmal anrufen?« Joan schüttelt den Kopf.
»Das muss unerträglich für sie sein.« Millie massiert sich die Schläfen, sichtlich hin und her gerissen; wie soll sie gleichzeitig über Faith wachen und ihrer eigenen Tochter Trost spenden?
Joan blickt den Flur hinunter. Und plötzlich weiß sie, was sie vorhin so irritiert hat: Das Komische an dieser Kinderintensivstation ist, dass Faith der einzige Patient ist. Abgesehen von den Ärzten und Krankenschwestern, die sich um sie kümmern, ist niemand hier. »Wenn Sie anrufen…«
»Ich werde ein wenig beschönigen«, entgegnet Millie. »Ich bin ja nicht blöd.«
Colin betritt das abgedunkelte Krankenhauszimmer und bleibt am Fußende des Bettes seiner Tochter stehen.
Sie hat die Arme ausgebreitet, die lose am Bettgestell festgezurrt sind, damit die Wunden an ihren Händen nicht wieder aufbrechen. Ihre Füße werden von der Bettdecke an Ort und Stelle gehalten. Sein Blick fällt auf die Drähte, die mit Elektroden an ihrer Brust befestigt sind, auf den Schlauch in ihrem Hals und die Gazetupfer an ihren Händen.
Er weiß nicht, was er denken soll. Er hört den Ärzten zu, als sie mit ihm sprechen. Er hat diesen Psychiater gehört, diesen Birch. Und er hat Mariah zugehört, die geschworen hat, dass sie Faith nie etwas antun würde. Vorsichtig setzt Colin sich auf die Bettkante.
»Guten Abend, gute Nacht, mit Rosen bedacht…« Er drückt die nasse Wange an ihre und hört das gleichmäßige Piepen des Monitors, an den sie angeschlossen ist. »… mit Näglein bedeckt, schlupf unter die Deck’.«
Der Arzt hat ihm gesagt, dass Faith einen Herzstillstand erlitten hat. Dass es aufgrund der Belastung durch die anderen versagenden Organe einfach aufgehört hat zu schlagen.
Er weiß, wie sich das anfühlt. Er würde das Sorgerechtsverfahren sofort abbrechen, wenn Faith dafür so heil und gesund wie eine normale Siebenjährige das
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