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Die Wahrheit der letzten Stunde

Die Wahrheit der letzten Stunde

Titel: Die Wahrheit der letzten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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warum sie, als es erneut zur Ehekrise kam, begann, ihr Kind krank zu machen. Jedesmal, wenn sie Faith zur Behandlung ins Krankenhaus bringt, lässt man Mrs. White die Fürsorge angedeihen, die ihr vor sieben Jahren Ärzte und Psychiater zuteil werden ließen.«
    »Wäre es möglich, dass sie ihrer Tochter wehtut, ohne sich dessen bewusst zu sein?«, will Metz wissen.
    Der Arzt zuckt die Achseln. »Das ist schwer zu sagen, da ich sie ja nicht untersucht habe. Aber möglich wäre es. Mrs. White hat schon früher an schweren Depressionen gelitten, und der Schock darüber, ihren Mann erneut beim Ehebruch zu überraschen, hätte ausreichen können, um eine Dissoziation hervorzurufen. Anstatt sich wie damals dem Schmerz zu stellen, schaltet sie mental einfach ab. In diesen Phasen fühlt sie sich am meisten vernachlässigt, und darum fügt sie auch in diesen Phasen ihrer Tochter Leid zu.«
    »Was glauben Sie, würde passieren, wenn Sie Mrs. White mit diesem Verhalten konfrontieren würden?«
    »Sie würde alles abstreiten. Sie wäre empört darüber, dass ich ihr etwas so Abscheuliches unterstelle. Sie würd mir sagen, dass sie ihre Tochter liebt und ihr nichts so sehr am Herzen liegt wie ihre Gesundheit.«
    Metz bleibt vor dem Tisch der Verteidigung stehen. »Dr. Birch, wie Sie wissen, liegt Faith im Krankenhaus. Was würde Ihrer Meinung nach geschehen, wenn man ihrer Mutter für eine gewisse Zeit jeglichen Kontakt zu ihr verwehren würde?«
    Der Psychiater seufzt. »Es würde mich nicht überraschen, wenn Faith Whites Zustand sich schlagartig bessern würde.«
     
    3. Dezember 1999 - später Nachmittag
     
    Nachdem der Gerichtssaal sich geleert hat, bleiben Joan und ich allein zurück. »Was wollen Sie jetzt tun?«, fragt sie.
    »Ich werde nicht ins Krankenhaus fahren, falls Sie das meinen.«
    »Das habe ich nicht gemeint. Ich … ich wusste nur nicht, ob Sie andere Pläne haben.«
    Ich lächle sie an. »Ich wollte eigentlich nach Hause fahren, ein heißes Bad nehmen und dann den Gashahn aufdrehen.«
    »Das ist nicht komisch.« Sie legt mir eine Hand auf den Arm. »Möchten Sie, dass ich Dr. Johansen für Sie anrufe? Ich bin sicher, dass er unter den gegebenen Umständen einen Gesprächstermin für sie einschieben kann.«
    »Nein. Danke.«
    »Dann lassen Sie uns etwas trinken gehen.«
    »Joan«, sage ich. »Ich weiß Ihre Bemühungen zu schätzen, aber ich bin im Moment nicht in Stimmung für Gesellschaft.«
    »Okay. Dann fahre ich ins Krankenhaus und erkundige mich nach Faith. Ich werde Ihre Mutter von dem Gerichtsbeschluss in Kenntnis setzen und sie bitten, Sie daheim anzurufen.«
    Ich bedanke mich bei Joan und sage ihr, dass ich noch eine Weile sitzen bleiben möchte. Wenig später lausche ich dem Klappern ihrer Absätze, als sie den Mittelgang hinuntergeht und den Saal verlässt. Ich lasse den Kopf auf den Tisch sinken und schließe die Augen. Ich konzentriere mich darauf, Faith’ Gesicht heraufzubeschwören. Vielleicht spürt sie ja, dass ich bei ihr bin, zumindest in Gedanken.
    Als der Raumpfleger hereinkommt, um den Fußboden zu bohnern, gehe ich, überrascht von der regen Aktivität auf den Fluren und in der Eingangshalle des Gerichts. Nur weil meine Verhandlung für diesen Tag zu Ende ist, ist noch lange nicht für alle anderen Schluss. An einer Wand lehnt eine weinende Frau; ein älterer Mann hat tröstend einen Arm um ihre Schultern gelegt. Drei Kleinkinder laufen zwischen einer Reihe Plastikstühle umher. Ein Teenager ist krumm wie ein Fragezeichen über den Hörer des Münzfernsprechers gebeugt und flüstert eindringlich.
    Obwohl ich Ian nicht sehen will, bin ich enttäuscht, dass er nicht auf mich gewartet hat.
    Es hat angefangen zu schneien - der erste Schnee dieses Winters. Die Schneeflocken sind dick und rund; sie schmelzen auf dem Gehweg, als würde ich sie mir nur einbilden. Ich bin so vertieft in die Betrachtung dieses Naturschauspiels, dass ich Ian erst wahrnehme, als ich nur noch wenige Schritte von meinem Wagen entfernt bin.
    »Ich muss dich sprechen«, sagt er.
    »Nein, musst du nicht.«
    Er nimmt meinen Arm. »Willst du denn nicht mit mir reden?«
    »Willst du das denn wirklich, Ian? Soll ich dir dafür danken, dass du diesen bescheuerten Reporter vom Globe angerufen und auf mich angesetzt hast, damit er meinen Aufenthalt in der Klapsmühle an die Öffentlichkeit zerrt und Malcolm Metz mir irgendeine perverse psychische Störung andichten kann, der zufolge ich mein eigenes Kind

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