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Die Wahrheit der letzten Stunde

Die Wahrheit der letzten Stunde

Titel: Die Wahrheit der letzten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Augen. »Faith macht sich aber auch nicht selbst krank, wissen Sie.«
    Joan seufzt. »Ihre Verteidigung basiert auf drei Punkten: Wir beweisen, dass Sie eine gute Mutter sind und dass Faith nicht psychotisch ist. Und dann führen wir dem Richter vor Augen, dass es noch andere mögliche Erklärungen für Faith’ Symptome gibt. Wir brauchen n eine Alternative zu der von der Anklage vorgebrachten Theorie zu präsentieren. Und wenn unsere Geschichte überzeugender ist als die ihre, haben wir gewonnen. So einfach ist das.« Sie schaut Mariah fest in die Augen. »Ich versuche nicht, die Verantwortung von Ihnen auf Faith abzuwälzen. Ich versuche nur, es so zu drehen, dass Sie Ihre Tochter behalten dürfen.«
    Mariah blickt auf. »Also gut«, sagt sie resigniert. »Tun Sie, was Sie tun müssen.«
     
    Richter Rothbottam mustert Joan über den Rand seiner Lesebrille hinweg. »Ms. Standish«, sagt er, »meines Wissens haben Sie das Recht auf ein Eröffnungsplädoyer, wenn Sie dies wünschen.«
    »Wissen Sie, Euer Ehren, ich wollte eigentlich darauf verzichten…«
    »Ah«, bemerkt der Richter, »vielleicht hat Gott in diesem Fall ja doch seine Hand im Spiel.«
    »… aber nach allem, was vorgefallen ist, möchte ich doch das eine oder andere vorweg sagen.« Sie steht auf und tritt vor den Tisch der Verteidigung. »Dies ist ein verwirrender Fall«, sagt sie emotionslos. »Verwirrend deshalb, weil es sich um einen Sorgerechtsfall handelt, der jedoch den Rahmen eines normalen solchen Rechtsstreites sprengt. Wir alle wissen, dass es einen Grund gibt, weshalb dieses kleine Mädchen hier Schlagzeilen gemacht hat. Wenn man sich die vielen Medienberichte anschaut… hat Faith White Gott gesehen. Ziemlich verrückt, finden Sie nicht?« Lächelnd schüttelt Joan den Kopf. »Mr. Metz gibt ihrer Mutter an alledem die Schuld. Er behauptet, dass Mariah White es irgendwie geschafft hat, dass ihre Tochter halluziniert und Gott sieht, und dass sie ihr darüber hinaus noch körperlichen Schaden zugefügt hat. Und ehrlich gesagt, finde ich diese Unterstellung ebenfalls ziemlich verrückt.«
    Joan wendet sich dem Fenster zu. Draußen schneit es heftig. »Wissen Sie, ich habe letztens erst gelesen, dass Eskimos zwanzig verschiedene Bezeichnungen für Schnee haben. Es gibt harschen Schnee, matschigen Schnee, Pulverschnee. Ich schaue aus diesem Fenster und sehe etwas Wunderschönes. Mr. Metz denkt bei demselben Anblick vielleicht an das Verkehrschaos, das das Schneetreiben verursachen wird. Und Sie, Richter, träumen, wenn Sie da raussehen, möglicherweise von einem Tag auf der Skipiste.
    Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, ein und dasselbe zu sehen. Sie haben Mr. Metz Vortrag gehört. Ich werde Ihnen dieselben Fakten präsentieren, aber aus einem völlig anderen Blickwinkel. Zum einen bin ich im Gegensatz zu Mr. Metz keineswegs der Ansicht, dass es in diesem Fall um Mariah White geht. Ich denke, es geht um Faith. Also werde ich zuallererst beweisen, dass Faith ein glückliches kleines Mädchen ist. Sie ist nicht krank, sie ist nicht psychotisch, und sie liegt ganz sicher nicht im Koma. Ich werde mich nicht darüber auslassen, ob sie nun tatsächlich Gott sieht oder nicht, denn das ist nicht meine Aufgabe. Meine Aufgabe ist es, Ihnen zu beweisen, dass sie psychisch glücklich ist und körperlich gesund und dass sie sich so verhalten wird, wie sie es tut, egal bei welchem Elternteil sie lebt. Die Frage ist: Welcher Elternteil soll das sein?«
    Joan holt tief Luft. »Die Antwort lautet: Mariah White. Und das ist der zweite Punkt, den ich beweisen wird’ Unabhängig davon, was vor sieben Jahren geschehen ist heute ist Faith bei ihrer Mutter am besten aufgehoben.« Sie fährt mit dem Finger am Tischrand entlang. »Mr. Metz hat Ihnen seine Interpretation der Ereignisse um Faith White geschildert. Er hat Ihnen vorgeführt, was er gerne sehen will. Verlassen Sie sich nicht auf seine Augen, sondern bilden Sie sich ein eigenes Urteil.«
     
    Dr. Mary Margaret Keller scheint nervös zu sein im Zeugenstand. Ihr Blick huscht durch den Saal, als würde er einer Maus folgen, die sonst niemand sehen kann. Sie schlägt unablässig abwechselnd das rechte und das linke Bein über das andere, und als Joan sie auffordert, ihre Referenzen zu nennen, zittert ihre Stimme.
    »Wie lange sind Sie schon Kinderpsychologin, Dr. Keller?«
    »Sieben Jahre.«
    »Was ist Ihr Spezialgebiet, Doktor?«
    »Ich arbeite viel mit jüngeren Kindern, die ein familiäres Trauma

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