Die Wahrheit der letzten Stunde
erlitten haben.«
»Warum wurden Sie ausgewählt, um Faith zu therapieren?«
»Ich wurde Mrs. White von ihrem eigenen Psychiater, Dr. Johansen, empfohlen. Er rief mich an und bat mich, ihm den persönlichen Gefallen zu tun, mich dieses Falles anzunehmen.«
»Wie oft war Faith bei Ihnen?«
Dr. Keller faltet die Hände auf dem Schoß. »Vierzehn Mal.«
»Wie sind Sie vorgegangen?«
»Die meiste Zeit habe ich ihr beim Spielen zugesehen. Das ist eine sehr wirkungsvolle Methode, um auffälliges Verhalten auszumachen.«
»Was für Verhaltensweisen haben Sie bei Faith beobachtet?«
»Nun, sie hatte einen sehr ausgeprägten Schutzmechanismus entwickelt - eine imaginäre Freundin, die sie beschützte. Faith bezeichnete sie als ihre Beschützerin. Das war nichts Ungewöhnliches: Ein kleines Mädchen, das ein paar harte Schläge hatte einstecken müssen, suchte sich jemanden, der es beschützte. Vom psychologischen Standpunkt aus völlig einleuchtend. Ich hielt dieses Verhalten sogar für positiv und gesund.«
»Was geschah dann?«
»Mrs. White begann, sich Sorgen zu machen, weil Faith plötzlich Verhaltensweisen an den Tag legte, die nicht zu ihrer bisherigen Erziehung passten. Sie zitierte Bibelverse, obwohl sie in ihrem ganzen Leben noch keine Bibel zu Gesicht bekommen hatte. Und es gab Episoden, bei denen Faith mit kranken Personen in Berührung kam und positiv Einfluss nehmen konnte auf deren Gesundheitszustand.«
»Zu welcher Uberzeugung hat Sie das geführt, Doktor?«
Dr. Keller lächelt verlegen. »Zuerst zog ich hieraus noch keinerlei Schlüsse. Aber ich fing an aufzumerken, als Faith ihrer imaginären Freundin einen Namen gab: Gott.« Sie nimmt ihre Brille ab und putzt sie an ihrem Rock. »Gott zu sehen ist für gewöhnlich ein Hinweis auf eine Psychose«, erklärt sie. »Das schien mir nicht ins Bild zu passen, da Faith sich abgesehen von den Halluzinationen in jedem anderen Aspekt ihres Lebens absolut normal verhielt. Trotzdem empfahl ich Mrs. White, Faith versuchsweise mit Risperdal zu therapieren.«
»Was geschah, als sie anfing, dieses Medikament zu nehmen?«
»Sie wurde davon müde und benommen, aber die Visionen blieben. Wir versuchten es mit einem anderen Medikament, das bei Psychosen angewendet wird, aber ihr Verhalten blieb unverändert.«
»Und wozu entschlossen Sie sich abschließend?«
»Ich konsultierte einen Kollegen, einen Spezialisten für Kinderpsychosen. Er beobachtete Faith und stimmte mir darin zu, dass sie keinen psychotischen Eindruck mache. Ich fühlte mich bestätigt. Es gibt auf dieser Welt vieles, das ich nicht verstehe, aber ich weiß, wie ein psychotisches Kind aussieht, und auf Faith trifft diese Diagnose nicht zu.«
Metz erhebt sich zum Kreuzverhör und nähert sich der Psychiaterin. »Dr. Keller«, sagt er, »ist Ihnen klar, was Sie hier andeuten?«
Sie errötet. »Ja.«
»Stimmt es nicht, dass Sie zwölf Jahre die katholische Schule besucht haben?«
»Das ist richtig.«
»Und sind Sie nicht sehr katholisch erzogen worden?«
»Doch.«
»Sind Sie bei einem Symposium nicht sogar soweit gegangen, zu gestehen, dass Sie selbst beim Beten schon Gottes Präsenz an Ihrer Seite gespürt haben?«
Dr. Keller blickt auf ihren Schoß. »Ich war damals noch ein Kind, aber ich habe diesen Zwischenfall nie vergessen.«
»Denken Sie nicht auch, dass Sie vorbelastet sein können dahingehend, zu glauben, dass Faith tatsächlich Gott sieht?«
Hierauf blickt die Psychiaterin mit kühlem Professionalismus auf. »Ich habe völlig unabhängig von meinen persönlichen Uberzeugungen eine Reihe klinischer Tests durchgeführt…«
»Ja oder nein, Dr. Keller?«
»Nein«, antwortet sie feindselig.
Metz verdreht die Augen. »Kommen Sie, Doktor. Glauben Sie nicht an Gott?«
»Doch.«
»Gehen Sie nicht jede Woche in die Kirche?«
»Das tue ich.«
»Und Sie sind zu dem Schluss gekommen, dass Faith Gott sieht. Denken Sie, Ihre Schlussfolgerung könnte sich möglicherweise von der eines… Atheisten unterscheiden?« Metz dreht sich um, und sein Blick gleitet über Ian, der im Zuschauerraum sitzt.
»Ich wäre auch als Atheistin eine nicht minder gründliche Psychiaterin. Und auch dann würde meine Diagnose lauten, dass dieses Kind nicht psychotisch ist.«
Metz’ Augen verengen sich. Das läuft anders als geplant. Diese halbe Portion von einer Frau hätte eigentlich schon fünf Fragen zuvor jeden Widerstand aufgeben müssen. »Dr. Keller, haben Sie nicht Faith’ Fall auf einem
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