Die Wahrheit der letzten Stunde
Fachsymposium vorgestellt?«
»Das habe ich.«
Metz baut sich direkt vor dem Zeugenstand auf. »Stimmt es nicht, dass Sie diesen Fall auf dem Symposium angesprochen haben, um sich interessant zu machen, Doktor?«
»Nein. Tatsächlich habe ich damit sogar meinen guten Ruf aufs Spiel gesetzt.« Sie lächelt traurig. »Wie viele Psychiater möchten schon öffentlich bekennen, dass sie glauben, ein Kind sähe Gott?«
»Aber der Fall hat Ihnen Publicity gebracht, zulasten Ihrer Schweigepflicht. War das nicht etwas unethisch?«
Dr. Keller überrascht ihn erneut, indem sie ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus ihrem Notizbuch hervorholt. »Ich habe hier eine von Mariah White unterschriebene Autorisierung, den Fall auf dem Symposium vorzutragen, unter der Bedingung, ihren Namen nicht zu nennen.«
»Tatsächlich!«, ruft Metz aus. »Damit hätten wir also den Beweis dafür, dass Mrs. White versucht hat, ihre Tochter zu verkaufen, um sich ein Publikum zu verschaffen.«
»Mrs. White und ich haben uns sehr lange darüber unterhalten«, widerspricht Dr. Keller kalt. »Wir haben gehofft, wir könnten damit den Kontakt zu einem Spezialisten herstellen, der mehr Erfahrung besitzt als ich und der uns helfen könnte, Faith’ Visionen auf den Grund zu gehen. Wie Sie sicher wissen, sind zwanzig Spezialisten, die an einem Fall arbeiten, bei weitem besser als ein einziger. Uns ging es nicht um Publikum, Mr. Metz, sondern um fachliche Hilfe.«
»Haben Sie Mrs. White je als Therapeutin befragt?«, will Metz wissen.
»Nein, ich war die Psychiaterin ihrer Tochter.«
»Können Sie dann mit absoluter Gewissheit sagen, dass es dieser Mutter nicht doch darum gegangen ist, ihre Tochter zur Schau zu stellen?«
Dr. Keller blickt von Mariah am Tisch der Verteidigung auf Faith, die ein paar Reihen hinter ihr sitzt. »Nein«, sagt sie leise, womit sie Metz unfreiwillig dazu verhilft, doch noch einen Punkt für sich zu verbuchen.
»Sie wurde mit blutenden Handflächen in die Notaufnahme gebracht«, antwortet Dr. Blumberg auf Joans Frage. »Es gelang nicht, die Blutungen mit den traditionellen Methoden zu stoppen, und darum wurde ich hinzugezogen.«
»Und was haben Sie getan, Doktor?« Er lehnt sich in seinem Stuhl zurück. »Ich habe die Hände geröntgt.«
»Und was haben Sie festgestellt?«
»Keinerlei Hinweise auf ein Trauma. Ein sehr feiner sauberer Kanal durchzog beide Handflächen. Kein zerrissenes Gewebe, keine Knochensplitterung, nichts, was auf eine Punktierung hingedeutet hätte, und das, obwohl zweifellos eine Wunde vorhanden war, die darüber hinaus anhaltend blutete.«
»Hatten Sie so etwas schon einmal gesehen, Dr. Blumberg?«
»Definitiv nein. Ich war verblüfft. Ich zog Spezialisten und Kollegen zurate, Fachärzte aus den Bereichen Pädiatrie, Chirurgie und Orthopädie, und gemeinsam schlossen wir systematisch sämtliche medizinischen Ursachen aus. Letztendlich behandelte ich lediglich die Symptome und schickte das Mädchen heim. Anschließend las ich in Fachzeitschriften nach.«
»Und was haben Sie dabei festgestellt?«
»Dass es so etwas, wie viele Leute wissen, früher schon gegeben hat. Und ich meine damit, vor sehr langer Zeit. Ich scheute selbst davor zurück, es zu glauben, aber offenbar sind bei mehreren katholischen Heiligen Stigmata aufgetreten, das heißt, medizinisch nicht erklärbare, wohl aber belegte spontane Blutungen an Händen, Seite und/oder Füßen. Und es gibt für diese Wunden keinerlei physische Ursache.«
»Wann wurde der letzte solche Fall dokumentiert?«, fragt Joan.
»Einspruch - Dr. Blumberg ist meines Wissens kein Geistlicher.«
»Ich werde die Frage zulassen«, entscheidet der Richter. »Doktor?«
»Es gab da einen Mann namens Vater Pio, der neunzehnhundertachtundsechzig gestorben ist. Aber der wohl berühmteste Stigmatiker dürfte der heilige Franz von Assisi sein, der im zwölften Jahrhundert gelebt hat. Den Berichten zufolge, die ich gelesen habe, sind die Wunden sehr real und ziemlich schmerzhaft.«
»Welche Haupteigenschaften wurden in den Fachzeitschriften zu diesem Phänomen genannt?«
»Sie lassen sich nicht mit den Methoden heilen, die traditionell angewandt werden, um Blutungen zu stoppen oder die Gerinnung herbeizuführen. Sie bestehen Monate oder sogar Jahre am Stück, jedoch ohne sich zu entzünden, wie es bei einer gewöhnlichen offenen Wunde der Fall wäre.«
»Und inwieweit deckt sich das mit Faith’ Wunden?«
»Fast einhundertprozentig«, entgegnet der
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