Die Wahrheit der letzten Stunde
Arzt. »Haben Sie Faith’ Wunden offiziell als Stigmata diagnostiziert?«
Blumberg schneidet eine Grimasse. »Nein. Ich war zu skeptisch. In die Krankenakte habe ich nach Ausschluss aller anderen medizinischen Erklärungen eingetragen, dass ich zu dem Schluss gelangt wäre, bei Faith’ Wunden handle es sich möglicherweise um Stigmata. Aber offen gestanden fühle ich mich bis heute nicht wohl bei dieser Diagnose.«
»Wie ging es Faith am vergangenen Wochenende?«
»Sie war in einem kritischen Zustand. Sie musste wegen Nierenversagens dialysiert werden und hatte zweimal einen Herzstillstand. Ihre Hände und ihre Seite bluteten wieder, und sie war ins Koma gefallen. Ich war mir in meiner Eigenschaft als Arzt sicher, dass sie sich nicht wieder erholen würde.«
»Und wie geht es Faith heute?«
Blumberg grinst. »Sie ist nahezu unverschämt gesund. Kinder neigen dazu, sich schnell zu erholen, aber die Genesung im vorliegenden Fall ist wahrlich bemerkenswert. Fast alle Körperfunktionen sind wieder hundertprozentig in Ordnung oder auf dem besten Wege dorthin.«
»Wurden Faith’ Nierenversagen und der wiederholte Herzstillstand Ihrer Meinung nach von einer dritten Person künstlich herbeigeführt, Doktor?«
»Nein. Dafür war ständig zuviel Pflegepersonal um sie herum. Ganz zu schweigen davon, dass in Faith’ Blut keinerlei Spuren von Medikamenten gefunden wurden, die beispielsweise einen Herzstillstand hätten auslösen können.«
»Wurden ihr die Wunden an Händen und an der Seite von jemandem beigebracht?«
Er schüttelt den Kopf. »Wie ich schon sagte, gab es keinerlei Hinweis auf ein Trauma. Nur einen winzigen Kanal … mitten durch Haut, Muskeln, Knochen und Sehnen.« Er hebt eine Hand. »In der Hand ist die Zahl der Knochen höher als in jedem anderen Körperteil, Ms. Standish. Es ist praktisch unmöglich, sie zu punktieren, ohne ein Trauma zu verursachen. Und doch habe ich genau das gesehen. Faith hat… einfach geblutet.«
»Doktor, verlangt das Gesetz von Ihnen, potenzielle Kindesmisshandlung anzuzeigen?«
»Ja, dazu ist jeder Mediziner verpflichtet.«
»Und haben Sie einen entsprechenden Bericht verfasst, nachdem Sie Faith White vor sechs Wochen untersucht haben?«
»Nein.«
»Und haben Sie einen solchen Bericht verfasst, nachdem Faith White am Donnerstagabend erneut in die Klinik eingewiesen wurde?«
»Nein.«
»Gab es einen Grund, der Sie dazu hätte veranlassen können, eine solche Meldung weiterzuleiten?«
»Nicht den geringsten.«
»Danke«, sagt Joan. »Keine weiteren Fragen.«
»Dr. Blumberg«, beginnt Metz. »Wie viele Fälle von Stigmata haben Sie bisher behandelt?«
Der Arzt lächelt. »Nur diesen einen.«
»Und doch fühlen Sie sich qualifiziert, hier eine Expertenmeinung abzugeben? Ist es nicht so, dass Sie für Faith’ Wunden keine Diagnose gefunden haben und deshalb eine auf Ihrer Erfahrung basierende Vermutung anstellen?«
»Lassen Sie mich zuerst aufzählen, was ich alles ausgeschlossen habe, Mr. Metz. Ich habe ein direktes und indirektes Trauma ausgeschlossen. Ich habe die Möglichkeit untersucht, dass Haut oder dicht unter der Haut befindliche Nerven eine Substanz absondern könnten, aber das Sekret wurde im Labor untersucht und eindeutig als Blut identifiziert. Die Diagnose Stigmata war die einzige, die auch nur annähernd zu meinen klinischen Beobachtungen passte.«
»Können Sie ohne den leisesten Zweifel behaupten, dass es sich hier um Stigmata handelt?«
»Selbstverständlich nicht, das gehört auch nicht in meinen Zuständigkeitsbereich. Eine solche Feststellung obliegt wohl eher dem Papst, nehme ich an. Ich kann nur bestätigen, dass Faith White Blutungen hatte, für die es keine medizinische Erklärung gab.«
»Dann gibt es für dieses Phänomen vielleicht eine psychische Erklärung?«
Blumberg zuckt die Achseln. »Ich habe in den Fachzeitschriften gelesen, dass man versucht hat, unter Hypnose bei Patienten Stigmata hervorzurufen. In einigen sehr seltenen Fällen ist es Psychiatern gelungen, die Absonderung einer Art farbigen Schweißes herbeizuführen. Aber kein Blut. Es gibt keinen wissenschaftlichen Beweis dafür, dass das Unterbewusstsein unabhängig von religiöser Hysterie Stigmata erzeugen kann.«
»Könnte sie sich die Wunden möglicherweise beim Schlafwandeln zugezogen haben?«
»Das bezweifle ich. Wie ich schon sagte, haben sie nichts mit Punktionswunden gemein.«
»Können Sie definitiv ausschließen, das Faith’ Wunden von ihr selbst oder
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