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Die Wahrheit der letzten Stunde

Die Wahrheit der letzten Stunde

Titel: Die Wahrheit der letzten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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tun?«
    Ich setze mich zu Faith auf das Bett und streiche ihr zärtlich das Haar zurück, während ihre Züge sich im Schlaf entspannen. Ihr Mund öffnet sich leicht, und eine Blase bildet sich zwischen ihren Lippen. Hinter mir höre ich, wie der Arzt sich leise mit meiner Mutter unterhält. Zweimal höre ich, wie die Tür auf- und zugeht.
    Kleine Mädchen träumen davon, Prinzessinnen zu sein. Von einem eigenen Pony. Von Schmuck und Ballkleidern. Aber doch nicht davon, grundlos zu bluten, nur um wie Jesus zu sein.
    Ich höre Ian Fletchers Stimme an meiner Schläfe. »Ich habe einmal eine Nonne interviewt«, sagt er. »Sie war sechsundsiebzig und Karmeliterin. Sie war seit ihrem elften Lebensjahr im Kloster. Die Ehrwürdige Mutter meinte, Schwester Mary Amelia sei mit Stigmata gesegnet worden.« Langsam drehe ich mich um, sodass ich in seine Augen schauen kann. »Jeder hielt es für ein Wunder. Bis ich eine gebogene Klinge zum Auftrennen von Nähten im Saum von Schwester Mary Amelias Gewand eingenäht fand. Wie sich herausstellte, besteht ein sehr schmaler Grad zwischen religiöser Ekstase und religiösem Wahn.«
    Du glaubst, sie hätte sich selbst verletzt. Ich brauche es nicht auszusprechen; er weiß, was ich denke. »Ihre Hände - die der Nonne - sahen ganz anders aus als Faith’.«
    »Was wollen Sie damit sagen?«
    Er zuckt die Achseln. »Dass das hier etwas anderes ist. Das ist alles.«
     
    Alles in allem findet Allen McManus, dass er billig davongekommen ist. Eine Peperoni-Pizza und einen Sixpack für den jungen Henry, der in Teilzeit in der Produktionsabteilung des Globe arbeitet, und im Gegenzug wird der Bursche sich in den Computer einklinken und auch dem Datenschutz unterliegende Informationen über die Familie White ausgraben.
    »Wie kommt es, dass es so lange dauert?«, fragt Allen und schiebt mit spitzen Fingern ein verschwitztes Sporttrikot zur Seite, bevor er sich in Henrys Bude auf die Bettkante setzt.
    »Ich habe nur ein achtundzwanzigacht Modem«, erklärt Henry. »Bleib cool, Mann.«
    Aber das kann Allen nicht. Je mehr er in Erfahrung gebracht hat, desto spannender ist die Geschichte geworden. Allen sind in den letzten Tagen Zitate aus der Offenbarung eingefallen, abscheuliche Geschichten, die Schwester Thalomena im fünften Schuljahr von Sündern erzählt hat, die in die Hölle kamen. Es ist Jahre her, seit er das letzte Mal zur Beichte war oder die Kommunion empfangen hat, und für Allen wird Religion immer verknüpft sein mit der Bestialität der Nonnen, die in seiner Gemeindeschule unterrichteten. Aber Katholizismus treibt tiefe Wurzeln, und dieses Mädchen hat ihn dazu bewogen, seine Entscheidung, sich vom Glauben abzuwenden, noch einmal zu überdenken. Was, wenn er in all diesen Jahren geirrt hat? Wie viele Ave-Marias und Vaterunser wurden einem wohl zur Strafe aufgebrummt, dafür, dass man Gott den Rücken gekehrt hatte?
    Plötzlich erscheint auf dem Bildschirm eine Fülle von Daten. »Einkäufe mit Kreditkarte. Das ist die Karte der Frau.«
    Allen beugt sich vor. Haufenweise Lebensmittel, dann Kinderbekleidungsgeschäfte, ein paar Bestellungen aus dem L.L. Bean-Katalog. Nichts Besonderes. »Meine Güte, die haben sogar jeden Monat pünktlich den Rechnungsbetrag gelöhnt.«
    »Sie hat pünktlich gezahlt. Lass uns mal ihren Mann überprüfen.« Henrys Finger fliegen über die Tastatur, und die Zahlungen über eine American Express-Karte werden angezeigt. Henry pfeift durch die Zähne. »Sieht aus, als hätte Mr. White sich auf seinen Geschäftsreisen gerne amüsiert. Sieh mal - Lilys Tanzpalast.«
    Allen grunzt. »Er hat also seine Frau betrogen. Was soll’s.« Untreue führt nicht zwangsläufig dazu, dass man seine Tochter als falschen Messias vermarktet. So etwas tut man, um besser dazustehen, um Aufmerksamkeit zu erregen. Oder man ist einfach nur bekloppt.
    »He, Volltreffer!«, ruft Henry plötzlich. »Ich habe unter juristischen Einträgen etwas gefunden. Die Info stammt aus dem Staatsarchiv von New Hampshire. Die Gerichte müssen alle Anklagen, Verurteilungen und so weiter archivieren - so ziemlich alles, was einem Richter vorgetragen wird. Sieht aus, als hätte Mr. White versucht, seine Lady einsperren zu lassen. Halt, ich korrigiere mich: Sieht aus, als hätte er es geschafft.«
    »Lass mal sehen.« Allen setzt sich und rollt die Seiten hinunter. »Heiliges Kanonenrohr! Er hat sie in die Klapse einweisen lassen.« Er liest den Antrag, der zur Zwangseinweisung geführt hat, liest

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