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Die Wahrheit der letzten Stunde

Die Wahrheit der letzten Stunde

Titel: Die Wahrheit der letzten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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wollte keine Spuren in Form von Kreditkartenbelegen hinterlassen, und mehr konnte sie so kurzfristig bei der kleinen Bank am Ort nicht bekommen. Wenn sie bescheiden leben, müsste es ihr und Faith gelingen, eine ganze Weile unentdeckt zu bleiben. Und wenn sie nur lange genug untertauchen, verlieren die Medien vielleicht das Interesse an Faith.
    Ohne Pass kann sie die Vereinigten Staaten nicht verlassen. Hawaii… sie wollte schon immer nach Hawaii, aber ganz sicher sind die Flugtickets furchtbar teuer und reißen ein Riesenloch in ihre »Reisekasse«. Mariahs Blick gleitet wieder über die Zielflughäfen. Um zwölf Uhr mittags geht ein Flug nach Los Angeles. Um Viertel nach elf einer nach Kansas City, Missouri.
    Sie führt Faith an den Schalter für Standby-Tickets. Sie werden das Flugzeug nehmen, das als nächstes startet.
     
    Als sie an Bord gehen, dankt Mariah im Stillen Gott dafür, dass die Berichterstattung über Faith bisher auf den Staat New Hampshire beschränkt war, sodass die Menschen, mit denen sie in Berührung kommen - Flugbegleiter, der nette Mann, der sich erbietet, ihre Rucksäcke in den Gepäckfächern unterzubringen -, in ihnen nur eine Mutter und ihre Tochter sehen und keine Medienflüchtlinge.
    Faith ist erst zweimal in ihrem Leben geflogen, einmal als Kleinkind zur Beerdigung ihres Großvaters, und einmal anlässlich eines Familienurlaubs nach Washington D.C.. Sie lässt sich auf ihren Sitz fallen und reckt den Hals, um einen Blick auf die Erste-Klasse-Kabine direkt vor ihnen zu werfen. »Was ist da drin? Wie kommt es, dass die Sitze eine andere Farbe haben?«
    »Da sitzen Geschäftsleute und Leute, die viel Geld haben. Diese Sitzplätze sind teurer.«
    »Warum haben wir keinen teureren Sitzplatz?«
    »Weil…« Mariah wirft einen verzweifelten Blick auf ihre Tochter. »Eben darum«, sagt sie, als auch schon eine Stewardess einen blauen Vorhang herunterlässt, der die Erste Klasse von der Economy Class abtrennt.
    »Letzter Aufruf für Flug fünfvierfünfsechs nach Kansas City…«
    Ian steuert zügigen Schrittes das Gate an und zeigt seinen Boarding Pass vor. »Mr. Fletcher«, sagt die Angestellte der Fluglinie, die die Bordkarte entgegennimmt. »Ihre Sendung gefällt mir.«
    Er nickt knapp und hastet auf das Flugzeug zu. Er reicht einer Stewardess seinen Mantel und macht es sich auf seinem Sitzplatz bequem. »Guten Morgen, Mr. Fletcher. Kann ich Ihnen vor dem Start noch etwas zu trinken bringen?«
    »Bourbon ohne alles.«
    Es sind noch drei weitere Passagiere in der Ersten Klasse, ärgerlich, aber keine Tragödie. Immerhin ist der Platz neben ihm frei. Die Stewardess kommt mit seinem Drink zurück. Dieser allwöchentliche Flug ist so wie alles andere an seinen Besuchen bei Michael Routine. Er stellt das Glas ab und schließt die Augen, versinkt in einem Traum, in dem Karten umgedreht werden, erst rot, dann schwarz, rot, schwarz, in einer endlosen Folge.
     
    »Ich muss Pipi machen«, verkündet Faith.
    Mariah seufzt. Der Getränkewagen ist direkt hinter ihnen und blockiert den Weg zur rückwärtigen Toilette; niemals wird Faith einhalten können, bis die Stewardessen mit dem Ausschenken der Getränke fertig sind. Ihr Blick fällt auf den blauen Vorhang der Ersten Klasse. »Komm.«
    Eilig führt sie Faith über den kurzen Flur und hofft, die kleine Toilette zu erreichen, bevor eine Stewardess sie aufhalten kann. »So«, sagt sie und schiebt Faith in die Kabine, »vergiss nicht, die Tür abzuschließen, damit das Licht angeht.« Dann lehnt sie sich gegen die vibrierende Flugzeugwand und lässt den Blick durch die Erste Klasse schweifen. Und entdeckt Ian Fletcher.
     
    O Gott. In einem Flugzeug gibt es keinen Notausgang. Mariah wählt den feigen Weg; sie dirigiert Faith zurück zu ihren Sitzplätzen und meidet auf dem ganzen Weg Fletchers Blick. Verärgert schließt sie die Augen. In dieser Stunde sind an die fünfzig Flüge aus Boston gestartet, und sie hat blind ausgerechnet denselben Flug gewählt wie Fletcher, der von allen Menschen auf der Welt wohl das größte Interesse daran hatte, ihren Aufenthaltsort auszuposaunen.
    Dann plötzlich geht ihr ein Licht auf: Das war keine Zufallsbegegnung. Irgendwie ist es Ian Fletcher gelungen, ihnen bis zum Flughafen zu folgen. Sie fragt sich, warum er es nicht hinter sich bringt, herkommt und ihr auf den Kopf zusagt, dass sie keine Chance hat, ihm zu entkommen. Vielleicht arrangiert er ja in eben diesem Moment mit Hilfe eines dieser kleinen Air-Phones

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