Die Wahrheit der letzten Stunde
Faith hätte sich in einen Propheten verwandelt, ihre Hände bluten und … Heiland.« Er sieht den Anwalt an. »Sie ist nicht mehr das kleine Mädchen, das sie war, als ich ihre Mutter verlassen habe.«
Malcolm nimmt schweigend einen gelben Notizblock aus einer Schublade seines Schreibtischs. Das Potenzial einer Berichterstattung in den Medien in diesem Fall ist außergewöhnlich groß - und zwar weit über die Grenzen von New Hampshire hinaus. Er schraubt den Deckel eines Füllers ab und beschließt, sich der Angelegenheit anzunehmen. »Sie sind also der Ansicht, Sie wären besser in der Lage, die Interessen des Kindes zu wahren. Sie glauben, dass das Zusammenleben mit der Mutter, so wie es sich derzeit gestaltet, Ihrer Tochter nachhaltig schadet.« Colin nickt. »Können Sie mir sagen, warum Sie vor vier Monaten noch nicht dieser Meinung waren?«
»Hören Sie, wenn ich zwanzigtausend Dollar Kaution und fünfhundert Dollar die Stunde Honorar zahlen soll, brauche ich Ihnen überhaupt nichts zu erklären. Ich will meine Tochter. Ich will sie gleich. Ich habe gehört, Sie könnten mir helfen. Punkt.«
Malcolm blickt seinem Mandanten einen Moment fest in die Augen. »Sie wollen das alleinige Sorgerecht?«
»Ja.«
»Um jeden Preis?«
Colin braucht nicht erst zu fragen, was Metz damit meint. Er weiß, dass der sicherste Weg, zu beweisen, dass er der geeignetere Elternteil ist, darin besteht, Mariah in einem möglichst schlechten Licht erscheinen zu lassen. Wenn es vorbei ist, wird Mariah nicht nur Faith verloren haben, sondern auch ihre Selbstachtung.
Er rutscht nervös auf seinem Stuhl hin und her. Er möchte das nicht tun, aber im Grunde hat er keine andere Wahl. So wie damals, als er Mariah hat zwangseinweisen lassen, heiligte auch jetzt der Zweck die Mittel. Heute so wie damals ist er nur besorgt um das Wohlergehen eines geliebten Menschen.
Quälende Bilder aus jener Nacht, in der Mariah versucht hat, sich das Leben zu nehmen, schießen ihm durch den Kopf: das Blut überall, sein Name noch auf ihren Lippen. Er zwingt sich, daran zu denken, wie Faith sich hinter ihrer Mutter versteckt hat, als er gestern dort war. »Ich will meine Tochter zurück«, wiederholt Colin fest, um sich selbst zu überzeugen. »Tun Sie, was nötig ist.«
Vergangenen Dienstag ist Ian Fletcher von Manchester geflogen, ein kleiner Flughafen, der versucht, den Anschein zu erwecken, er wäre um einige Stufen kosmopoliter, als es tatsächlich der Fall ist. Mit anderen Worten: ein Albtraum. Nicht nur hatte sein Flug nach Kansas City Verspätung, es gab außerdem nicht einmal einen Admiral’s Club, in dem er sich bis zum Abflug hatte aufhalten können, sodass er sich fast eine Stunde lang auf der Toilette verstecken musste, um nicht erkannt zu werden. Diese Woche fliegt er ab Boston. Das bedeutet zwar eine längere Fahrt in der Limousine bis zum Flughafen, aber auch eine bei weitem angenehmere Reise.
»Sir, mit welcher Fluggesellschaft fliegen Sie?«, fragt der Chauffeur.
Ian beugt sich vor. »American.« Er legt sich seine Aktentasche auf den Schoß, während die Limousine sich in eine Parklücke am Straßenrand schiebt. Er unterschreibt die Kreditkartenquittung und reicht dann das Klemmbrett wortlos dem Fahrer zurück. Mit gesenktem Kopf geht er zügig nach rechts, auf eine Reihe von Fahrstühlen zu, von denen er weiß, dass sie ihn hinauf in die Lounge für Passagiere der Ersten Klasse bringen werden, wo er in aller Abgeschiedenheit warten kann, bis sein Flug aufgerufen wird.
Mariah steht vor der Anzeigetafel der Abflüge und überfliegt die Liste der Zielflughäfen. So viele Orte; wie soll sie sich da entscheiden? Nicht, dass ein Ziel erstrebenswerter wäre als ein anderes — ganz gleich, wo sie auch landen, sie werden noch einmal ganz von vom anfangen müssen.
»Mami?« Faith zupft an ihrem Arm. »Können wir nach Vegas fliegen?«
Mariah kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Was weißt du denn von Vegas?«
»Daddy ist einmal dort gewesen. Man drückt auf irgendwelche Knöpfe, und ein Automat spuckt Unmengen Geld aus. Das habe ich im Fernsehen gesehen.«
»Also, ganz so einfach ist das nicht. Dazu muss man sehr, sehr viel Glück haben. Im Übrigen steht Las Vegas nicht auf der Abflugliste.«
»Und wohin fliegen wir dann?«
Gute Frage. Mariah streicht mit der Hand über ihre Handtasche und überlegt. Sie hat zweitausend Dollar Bargeld bei sich - Gott, sie kommt sich vor wie eine wandelnde Zielscheibe. Aber sie
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