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Die Wahrheit der letzten Stunde

Die Wahrheit der letzten Stunde

Titel: Die Wahrheit der letzten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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O’Shaughnessy über das Mädchen gesprochen haben. Vater Rourke - der Spezialist für pastorale Psychologie am Saint-John-Seminar - hat Ihnen seinen Bericht gefaxt.«
    Bischof Andrews hat den Bericht nicht gelesen. Er ist an diesem Morgen in der Willkommensparade der Papst-Pius-XII.-Schule mitgefahren, in einem Ford-Oldtimer direkt vor einer sehr umfangreichen Blaskapelle, die ihm hämmernde Kopfschmerzen beschert hat, die immer noch nicht abgeklungen sind. Vater DeSoto reicht ihm ein Blatt Papier. »>Definitiv keinerlei Anzeichen für psychotisches Verhalten …< Er ist aufgeschlossener als gut für ihn ist«, brummt Andrews, greift dann nach dem Telefon und wählt die Nummer des Priesterseminars in Boston.
    Ein weiblicher Gott. Heiland!
    Wozu einen Pastoral-Psychologen schicken, wo es sich doch eindeutig um einen Fall für einen Theologen handelt?
     
    Lake Perry, Kansas - 22. Oktober 1999
     
    An diesem Nachmittag spielen Ian und Faith Karten, als Mariah auf dem Sofa einschläft. In der einen Minute spricht sie noch mit ihnen, und in der nächsten schnarcht sie ganz plötzlich. Ian beobachtet, wie ihr Hals wie in Zeitlupe seitlich abknickt, hört die leisen Schnarchlaute, die sie von sich gibt. Gott, wie er sie beneidet. Einfach so einnicken zu können … am helllichten Tag …
    Faith mischt die Karten und geht dabei so ungestüm vor, dass einige auf dem Fußboden landen. »He, Mr. Fletcher«, ruft sie mit schriller Stimme und lässt sich auf alle viere nieder, um die Karten einzusammeln.
    »Pssst!« Ian nickt in Richtung der Couch. »Deine Mami schläft.« Ian ist bewusst, dass es sich vermutlich nur um ein kurzes Nickerchen handelt. »Hättest du Lust, nach draußen zu gehen?«, fragt er leise.
    Faith verzieht wenig begeistert das Gesicht. »Ich will nicht wieder im Gras spielen. Das habe ich schon heute morgen getan.«
    »Wenn ich mich recht entsinne, habe ich versprochen, mit dir angeln zu gehen.« Ian erinnert sich, eine alte verstaubte Angelrute in dem Schuppen neben dem Büro gesehen zu haben. »Wir könnten unser Glück versuchen.«
    Faith blickt von Ian auf Mariah. »Ich glaube nicht, dass es ihr recht wäre, dass ich das Haus verlasse.«
    Natürlich nicht, gibt Ian ihr im Stillen Recht. Faith könnte ja, ohne es zu wollen, ihr Geheimnis preisgeben. »Dann machen wir es kurz. Was deine Mama nicht weiß, macht sie nicht heiß.« Er steht auf und streckt sich. »Also, ich werde jedenfalls angeln gehen.«
    »Warten Sie! Ich muss mir noch Schuhe anziehen!«
    Er zuckt die Achseln und tut so, als wäre es ihm völlig egal, ob sie ihn begleitet oder nicht. Aber das wird das erste Mal sein, dass er mit Faith White allein ist, abgesehen von jener Nacht, in der sie weggelaufen und später blutend zusammengebrochen ist. Es gibt so verdammt viel, was er über sie wissen möchte, dass er gar nicht weiß, wo er mit dem Fragen anfangen soll.
    Draußen ist es klar und kühl, und die Sonne hängt tief am Himmel. Er schlendert pfeifend dahin, die Hände in den Hosentaschen vergraben, und gibt vor, gar nicht zu merken, wie sehr Faith sich anstrengen muss, um mit ihm Schritt zu halten. Ian holt die Angelrute und einen kleinen Spaten aus dem Schuppen und steuert den See an.
    Am Ufer kniet er neben wucherndem Schilf nieder und reicht Faith den kleinen Spaten. »Möchtest du graben, oder soll ich?«
    »Sie meinen, nach Würmern?«
    »Nein, nach einem Schatz. Was dachtest du denn, was wir als Köder benutzen?«
    Faith nimmt den Spaten und unternimmt einen halbherzigen Versuch, ein dickes Grasbüschel auszugraben. Ian starrt auf die Pflaster an ihren Händen: je eins auf den Handflächen und Handrücken. Natürlich hat er inzwischen Fälle angeblicher Stigmatisierungen untersucht - in seinem Beruf muss man über die Konkurrenz im Bilde sein. Er erinnert sich, gelesen zu haben, wie schmerzhaft die Wunden sein sollen, auch wenn er keine Sekunde an den Humbug geglaubt hat. Trotzdem nimmt er Faith den Spaten aus der Hand. »Lass mich mal«, brummt er.
    Er lockert das Grasbüschel rundum und schält es hinterher vom Untergrund ab. Darunter kommen glänzende lilafarbene Würmer zum Vorschein, die sich im Erdreich winden. Faith rümpft die Nase. »Eklig.«
    »Nicht für einen Breitmaulbarsch.« Er sammelt einige Würmer ein, die er in einen kleinen Plastikbeutel steckt, und zeigt dann auf einen Steg. »Geh schon mal da hin. Und nimm die Angelrute mit.«
    Als er nachkommt, sitzt sie auf dem Holzsteg und lässt die Füße ins Wasser

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