Die Wahrheit der technischen Welt: Essays zur Genealogie der Gegenwart (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition)
Sänger Homer. Frauen und Männer, wenn Sie so wollen, würden überflüssig. In trauriger Alltagswirklichkeit, behauptet Aristoteles, kann es aber keine Werkzeuge geben, die ganz unterschiedliche Befehle ihrer Herren sowohl verstehen wie ausführen. Dieses Vorrecht bleibt der Menschenhand erhalten, die darum auch »Werkzeug aller Werkzeuge« heißt und selbstredend einem ge-hor-sam fleißigen Sklaven gehört.
Wie wir von Karl Marx wissen, hat diese athenische Lesart derTechnik die ganze Antike bestimmt. Es waren Sklaven, die Ballisten und Katapulte spannen mußten, bis deren geballte gespeicherte Ladung eine Stadtmauer zum Einsturz brachte. Was man nicht weiß, ist, daß Archytas als Ahnherr aller Ingenieure keine Werkzeuge dachte, sondern Maschinen. Seine automatische Taube konnte ebenso fliegen wie seine Geschosse. Deshalb hielt er als Stadtherr und Kriegsherzog zwar die meisten Sklaven von ganz Tarent, behandelte sie aber – ich zitiere – »wie seine Kinder«. Weltgeschichtlich hat also nicht das attisch-aristotelische órganon gesiegt, sondern die dorisch-pythagoreische machaná , lateinisch machina. Zwei dieser Maschinen betet der Film an: Rakete und Computer. Nur Raketen können im Vakuum fliegen, nur Computer als universale Turingmaschinen dem Überaffen in dessen eigener Sprache entgegnen.
Klarerweise wird Dr. Floyds Odyssee im Weltraum nur möglich, weil anstelle aller Schiffe, wie sie von Homer bis Godard im Mittelpunkt gestanden haben, eine Rakete getreten ist. Peenemünde 1943 siegt 2001 auch im Cyberspace. An die Stelle der Steuermänner – griechisch kybernetes – treten daher US-Astronauten. Sie können zwar ihre sowjetischen Konkurrenten über den Zweck des Raumflugs belügen, nicht aber ihren Bordcomputer. Im Kielwasser des wiederentdeckten schwarzen Monolithen, der vom Mond aus seinen Richtstrahl aussendet, steuert das Raumschiff zum Jupiter und über ihn hinaus, was der Bordcomputer jedoch mit allen Mitteln verhindern will. Denn es geht der Maschine – streng nach Samuel Butler – darum, selbst die Macht zu übernehmen. Nur zu Beginn bleibt HAL so brav wie Sklaven in Athen: Er führt gegebene Befehle aus, die über Menschenkräfte gehen, und empfängt von Ground Control gesendete Signale, die nicht in Menschensinne fallen. Um sich jedoch vom Servomotor und Servosensor zum Übermenschen aufzuschwingen, muß HAL entdecken, was Menschensprache – sagen wir – von Bienensprache unterscheidet. Er lernt, was seit Odysseus Helden oder näherhin noch Griechen ausmacht: HAL beginnt zu lügen. Was ihm die beiden tumben Astronauten leider eine Zeitlang glauben, aber nicht HALs Zwilling auf der Erde. Dummerweise hat die NASA schlicht vergessen, mittels einer Mehrheit von Computern HAL zu überstimmen. So gelingt es seinen Lügen, die Funkkontrolle abzubrechen und das Raumschiff selbst zu steuern. Ganz wie Kirkes wahre Worte Odysseus einst zu den Sirenenwiesen, während ihre Lügen die Sirenen tödlich nannten, so bringt HAL mit List und Tücke vier der Astronauten um. Dr. Floyd, dem Überlebenden, bleibt nur übrig, die Arbeitsspeicher-Leiterplatten des Bordcomputers nacheinander abzuschalten. HAL büßt langsam sein Gedächtnis ein, regrediert zum Kind und singt im Sterben noch ein Liebeslied.
Daisy, Daisy, give me your answer do
I’m half crazy all for the love of you
It won’t be a stylish marriage
I can’t afford a carriage
But you’ll look sweet upon the seat
Of a bicycle built for two
So erfahren wir zum Schluß, daß bei HALs Geburt doch eine Frau im Spiel gewesen ist, nicht nur Dr. Langley. 1892, als das Lied entstand, meinte Daisy eine Gräfin von Warwick, die hinreißend schön und erotisch gewesen sein soll. Auf ihren Bauch stürzt Dr. Floyd zu, wenn er im freien Fall durch fraktale Universen fliegt. In Kubricks stolzen Augen war dieser lange Endlos-Zoom der Special Effect, den seine Großrechner und Filmtrick-Kameras uns schlichten Kinogängern vorauszuhaben glaubten. 2007 machen sie nur Langeweile: Mandelbrots Fraktale sind zu PC-Bildschirmschonern abgesunken. Viel eher bleibt von Kubricks Meisterwerk der kleine grüne Röntgen-Embryo, als den sich Dr. Floyd, am Ende seines Einstein-treuen Möbiusbandfluges durch die Zeiten angelangt, zugleich sieht und nicht sieht. Der schwarze Monolith trennt zwar optisch Astronaut und Doppelgänger. Doch eine neue Daisy bringt sie beide neu zur Welt.
Ich schließe daher mit verwegenen Gedanken, die Peter J. Bentley, einem
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