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Die Wahrheit der technischen Welt: Essays zur Genealogie der Gegenwart (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition)

Die Wahrheit der technischen Welt: Essays zur Genealogie der Gegenwart (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition)

Titel: Die Wahrheit der technischen Welt: Essays zur Genealogie der Gegenwart (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich A. Kittler
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jener Virus aus dem Weltraum sie befallen und eine radikale Kehlkopf-Mutation bewirken. Sonst könnten wir nicht Mosse Lectures geben, also wie ein Farbfilm zwischen Ton und Bild umschalten. Die angesteckten und entzückten Affen fingen auf der Stelle an zu kopulieren, bis die meisten im Orgasmus oder auch am Virus starben. Aber »ein paar Weibchen überlebten und gebaren« so »›uns Wunderkinder‹«. Menschenaffen hatten plötzlich Schrift im Leib und Artikulation im Rachenraum. Nichts anderes hieß übrigens bei Aristoteles der Mensch als zoon logon echon. Wir könnten also (statt von Viren) auch von Göttern oder Musen reden.
    Selbstredend durfte Kubrick – FCC-bedingt – Burroughs’ Virentheorie nicht so wörtlich in ein Drehbuch überführen. Wir hätten ja sonst Menschenaffen kopulieren sehen. Also fängt der Mensch in 2001: Odyssee im Weltraum nicht mit der Sprache an, sondern – unter Rückgriff auf Aristoteles’ Politik  – mit dem Werkzeug. Anstelle des Orgasmus treten daher Kriege wie bei Freuds Urhorde, anstelle eines Virus, den auch CIA-Labors erforschten, der berühmte schwarze Monolith. In die prähistorische fraktale Wüste Afrikas fällt er aus dem Weltall wie ein Marmorwunder ein: Geometrie, Pythagoras, Großgriechenland, nur völlig ungedacht. Menschenaffenstämme, die im schwarzen Stein der Kaaba ihren einen Gott verehren, lernen nicht (wie Burroughs’ Sexdrogierte) sprechen, lesen, schreiben. Knochen toter Tiere werden, ganz im Gegenteil, zu Werkzeugen, und das heißt: Waffen, mit denen sich die Konkurrenz ums Wasserloch erschlagen läßt. Gewalt, nicht Liebe macht aus Affen – dem FCC zuliebe – Überaffen oder eben Menschen. Also sprach  – mit Richard Strauss und Friedrich Nietzsche – Zarathustra.
    Woraus fast zwingend folgt, daß es im Film auch Übermenschen geben muß. Wie Nietzsche, Samuel Butler und Alan Turing prophezeit haben, werden Maschinen eines Tages unsere Weltherrschaft übernehmen. Dieser Takeover trägt einen Eigennamen, hat ein Geburtstagsdatum und selbstredend keine Mutter, sondern einen geistigen Vater. »I am a HAL 9000 series Computer«, stellt der Übermensch sich Dr. Floyd, dem letzten Menschen, vor. Ego sum, ego cogito , hätte er es auch cartesisch sagen können. Die drei Lettern seines Eigennamens verschlüsseln erstens – wie Caesars Briefe aus Gallien nach Rom – durch einfache Letternverschiebung dasKürzel für International Business Machines; sie machen zweitens das konsonantische IBM auch zur vokalisch aussprechbaren Silbe, zum Akronym HAL. Drittens, erzählt der Computer seinem Endbenutzer, ist er am 12. Januar 1992 zur Welt gekommen und dankt schließlich – viertens – seine wunderschöne Menschenstimme einem geistigen Vater. Dr. Langley, also der Stammsitz einer Firma namens CIA, hat einst dem kleinen HAL, wie er sich gerührt erinnert, die Sprache und den Logos beigebracht.
    Der Übermensch, mit anderen Worten, widerspricht Arthur C. Clarke, auf dessen Short Story der Film beruht, genauso laut und klar wie Aristoteles, aus dessen Werkzeugtheorie der Überaffe namens Mensch entspringt. Im ersten Buch der Politik wirft der letzte Griechenphilosoph die Frage auf, warum der Haushalt – also Mann und Ehefrau – außer Werkzeugen auch Sklaven braucht. Seine denkwürdige Antwort lautet:
    Für die bestimmten technischen Künste ist es nötig, daß ihnen geeignete Werkzeuge zugrunde liegen, wenn ihr Werk ans Endziel kommen soll. Werkzeuge aber sind teils leblos, teils belebt – so etwa ist das Ruder für den Steuermann ein lebloses Werkzeug, der Maat aber ein belebtes, weil in der Technik jeder Untergebene zur Art der Werkzeuge zählt. Ganz so ist auch für den Hausherren jeder Besitz ein Werkzeug zum Leben und aller Besitz eine Menge von Werkzeugen, der Sklave indes ein lebendiger Besitz, gleichsam ein Werkzeug, das andere Werkzeuge ersetzt. Denn freilich, wenn jedwedes Werkzeug, ob auf Zuruf oder Vorahnung hin, sein Werk vollbringen würde, wie es von Daidalos’ Standbildern und Hephaistos’ Dreifüßen heißt, über die der Dichter [Homer] sagt, ›da sie automatisch zum Rat der Götter laufen‹, wenn also Weberschiffchen selber weben könnten und Gitarrenschlägel selber Gitarre spielen, dann bräuchten […] Herren keine Sklaven (Pol. A 4, 1253b25-1254al).
    Nach Aristoteles geschieht also nur in Sage und Dichtung das Wunder, daß automatische Webstühle die Nymphe Kalypso ersetzen und automatische Gitarren den

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