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Die Wahrheit der technischen Welt: Essays zur Genealogie der Gegenwart (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition)

Die Wahrheit der technischen Welt: Essays zur Genealogie der Gegenwart (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition)

Titel: Die Wahrheit der technischen Welt: Essays zur Genealogie der Gegenwart (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich A. Kittler
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Lebens nie eine Frau erkannt. Sonst hieße er nicht »omnipotens« (Aen. IV 25), sonst wäre »Gott« nicht so blutig ignorant. [6] Wir brauchen nur nach Griechenland zu fahren, nach Amalfi oder auf die Sireneninseln – und die Wahrheit glüht, mit Hölderlin, zum Himmel.
    Ich hatte, leichtsinnig, versprochen, Heidegger für diesen Text zu umgehen. Indessen gelten, weisen, helfen seine schlichten Sätze: Ohne das Mögen der Liebe vermögen wir nichts. ›Himmlische Liebe‹ ist nicht, wie für das Mittelalter z. B. und für alle Metaphysik, die übersinnliche Liebe im Gegensatz zur irdischen. – Im Gegenteil, die ›Himmlische Liebe‹, die Hölderlin anruft, ist irdischer als alle vermeintlich nur ›himmlische Liebe‹, weil sie erst der Wahrheit der Mutter Erde und ihrer [ägäischen] Inseln entstammt und in der Glut des leuchtenden Feuers vom Himmel brennt. [7] Davon legt schon Homers Odysseus, wenn er Nausikaa, die Nymphe, dem Palmbaum auf der offenbaren Götterinsel Delos und damit Artemis gleichsetzt, wunderbares Zeugnis ab. Wir wissen nämlich nie zu sagen, ob Wesen, die wir lieben und bewundern, göttlich oder sterblich sind. Womit ich schon beim letzten Avatar Odysseus’ angelandet wäre: der Idiotie bemannter Raumfahrt.
    Der Cinerama-Farbfilm heizt Metaphern – über alle Verse und Gemälde – bis zur Weißglut auf. Wir sehen, trinken, saugen ihn wie LSD-Visionen oder Mandelbrot-Fraktale psychedelisch ein. Also läßt die Federal Communications Commission in Kinosälen und vor Farbfernsehern nur bestimmte Frauenrollen zu. Sie dürfen die aseptisch keuschen Astronauten füttern, heilen und bemuttern, wieviel Gewalt auch immer unsereins verkörpern mag. Aber Göttinnen wie Aphrodite, die bei Parmenides die zwei Geschlechter aller Tiere kybernetisch aufeinander»steuert«, sind als Schiffsherrn oder Astronauten ausgeschlossen.
    Aeneas schon trieb Dido auf den Scheiterhaufen und zum Liebesselbstmord, um an ihrer Statt Latinus’ keusche Tochter zu umwerben. Dante träumte zwar von Beatrice, heiratete indes Gemma Donati und log uns vor, Odysseus habe den Atlantik aus freienStücken allen seinen Frauen vorgezogen: von Kirke bis Penelope. Auch Stanley Kubrick, bevor er sich in Eyes Wide Shut endlich eines Besseren besann, huldigte dem dümmsten aller Astronauten-Mythen: Männer und Computer, nur sie entdecken fremde Universen; Mütter, Bräute, Töchter bleiben brav zu Haus, rufen aber im US-TV am Geburtstag ihre Helden an. (Wären wir, die Männer – mit Silenos, Solon, Nietzsche –, doch niemals geboren!)
    Das alles kehren wir jetzt systematisch um – wie einen Handschuh in der vierten Dimension. Wenn Philologen schon die Kühnheit haben, Joyce und Homer, Roman und Sage gleichzuschätzen, helfen uns, den Philosophen, womöglich nur mehr Drogen weiter. William Burroughs, der Computerfirmenerbe, veröffentlichte 1970 – FCC-bedingt im Selbstverlag – eine kühne neue Ursprungstheorie der Sprache. Sie sei ein Virus, medizinisch und computertechnisch also eine Schrift, von anderen Planeten vor Jahrtausenden zur Erde und in Menschenaffen gefahren. Denn Menschen unterscheide es seitdem von Tieren, Erfahrungen an ihre Nachkommen zu senden. Was sich aber seinerseits (wie Viren, Schriften und Programme allgemein) nur aus intergalaktisch fernen Sendungen an uns erklären lasse. Hören Sie also auf Burroughs, dem meine Generation weit mehr als Freud und Habermas verdankt: »Tiere reden, aber schreiben nicht. Eine schlaue alte Ratte mag noch so gut Bescheid wissen über Fallen und vergiftete Köder; sie kann für den Reader’s Digest kein Handbuch über TÖDLICHE FALLEN IN IHREM KAUFHAUS schreiben und taktische Maßnahmen für den Kampf gegen Hunde und Frettchen erläutern und wie man mit Schlaumeiern fertig wird, die uns die Löcher mit Stahlwolle verstopfen. Es ist fraglich, ob sich ohne das geschriebene Wort das gesprochene Wort jemals über das tierische Stadium hinaus entwickelt haben würde. Das geschriebene Wort ist der entscheidende Auslöser für die menschliche Sprache gewesen.« [8]
    Man ermesse daran, was es bedeutet oder, besser noch, bewirkt hat, als zum erstenmal auf dieser Erde jedem Laut ein Zeichen korrelierte, jedem Buchstaben ein Laut. Strenggenommen, gilt das einzig für Homer, als der Adaptor auf Euböa ihn verschriftet hat. Aber fahren wir mit Burroughs fort, schon um den Unterschied zu Kubricks Odyssee im Weltraum zu bedenken.
    Damit also Menschenaffen sprechen konnten, mußte

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