Die Wahrheit der technischen Welt: Essays zur Genealogie der Gegenwart (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition)
zu machen und dann auf die »Selbstentbergung« des Zuhandenen konzentriert zu sein, doch diese Konsistenz steckt in Prämissen, unter denen Wirklichkeit zuhanden werden und sich entbergen kann, eben nicht in Formen ihrer ›Darstellung‹. Als spezifisch und dominant für Friedrich Kittlers Werk sehe ich in dieser Hinsicht ein vielfach wirksames monistisches Apriori an. Er neigt dazu, verschiedene Phänomene, die von den meisten Denkern und Wissenschaftlern verschiedenen ontologischen Dimensionen zugewiesen würden, auf einer und nur einer Ebene zusammenzubringen.
Das beginnt mit dem für Kittler so zentralen Verb »anschreiben«, welches als anti-idealistische Idealvorstellung immer wieder suggeriert, daß die Bewegung eines Körpers oder eine Veränderung in der Welt direkt und ohne Vermittlung Niederschlag in einem Medium finden kann. Was dabei übersprungen oder eingeklammert wird, ist die Phänomenebene des Bewußtseins, der Psyche oder des Geistes, welche Friedrich Kittler ja schon sehr früh in seinem Werk aus den Geisteswissenschaften hatte ›austreiben‹ und unter historischer Perspektive als Illusion unterlaufen wollen. Später negierte er, wie wir gesehen haben, im zweipoligen Verhältnis zwischen Hardware und Software die Software-Seite als Bewußtseins-Analogie und Projektion, was konvergiert mit seiner Konzentration auf Situationen des direkten Zuhanden-Seins der Dinge gegenüber der (größeren oder geringeren) Distanz des Vorhanden-Seins. Musik, Erotik und Mathematik gehörten in Kittlers nicht mehr abgeschlossenem Griechenland-Buch einer einzigen Ebene der Wirklichkeit an, und selbst so deutlich idealistische Systementwürfe wie Hegels Geschichtsphilosophie oder Luhmanns Systemtheorie konnte er schätzen wegen ihrer monistischen Zentralsetzung von Begriffen wie ›Geist‹ und ›Sinn‹, und dies galt – wohl unter Heideggers Ermutigung – auch für das offenbar strikt materielle Denken der vorsokratischen Fragmente.
Am Ende einer Vorlesung aus dem Jahr 1998, deren Transkription wenig später unter dem Titel Eine Kulturgeschichte der Kulturwissenschaft in Buchform erschien, [4] hatte Friedrich Kittler, ohne diesen Gedanken wirklich zu Ende zu führen, auf Affinitäten zwischen einem Monismus des Materiellen und Martin Heideggers Konzeption vom ›Wahrheitsereignis‹ und von ›Seinsgeschichte‹ verwiesen (einer Konzeption, die man vielleicht als nicht-epistemologische und nicht-theologische Version von Offenbarung charakterisieren kann). ›Seinsgeschichtlich‹ gesehen geht die Bewegung eines Wahrheitsereignisses nicht vom Dasein aus (dem Menschen oder gar dem Subjekt-Bewußtsein), sondern vom Sein, das sich entbergen will. Sein, so scheint es, ist dabei gemeint als ein Zugleich der materiellen Präsenz eines Gegenstands (›Erde‹) und seiner praktischen Funktion (›Zeug‹ oder ›Welt‹). Sein drängt gleichsam darauf, sich als Erde und Welt zu entbergen und hat dabei immer schon Bilder und Projektionen des menschlichen Geistes und seiner ›Weltsicht‹zu überwinden. Damit es zu solcher Selbstentbergung des Seins kommen kann, muß Dasein (müssen Menschen) anwesend sein, doch das sich entbergende Sein ist keine Botschaft an das Dasein. Vielmehr mag das sich entbergende Sein schicksalhaft zu stark sein für das Dasein, dessen »Schuld« es ist, das Sein »in die Acht zu nehmen«, ja »zu umarmen«, so intransitiv diese Verpflichtung auch bleibt.
Das Äquivalent des sogenannten ›historischen Wandels‹ schließlich ist in Heideggers Seinsgeschichte die Intuition, daß die Wahrscheinlichkeit von Wahrheitsereignissen nicht chronologisch gleich gestreut ist. Für das antike Griechenland soll sie in vielen Situationen des Alltags und der Begegnung mit den Göttern nahegelegen haben, während seit dem zwanzigsten Jahrhundert gerade die Technik eine solche Möglichkeit der Selbstentbergung des Seins impliziere, der das Dasein gerecht zu werden habe, ohne allerdings noch die Selbstentbergung auslösende Perspektive gefunden zu haben. Dazwischen, zwischen seinsgeschichtlichen Situationen wie dem antiken Griechenland und Heideggers eigener Welt, sollen »dürftige Zeiten« gelegen haben, in denen das Sein sich auf Entfernung und für das Dasein verborgen hielt.
Noch einmal: Die Anwesenheit von menschlichem Dasein gehört zu den notwendigen Bedingungen für die Selbstentbergung des Seins – doch sie bleibt ihm äußerlich. Es ist wichtig, diese Prämisse von Heideggers Seinsgeschichte
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