Die Wahrheit des Alligators
erklären, das Magagnin zur Verfügung hatte, und es könnte vor allem das Motiv für das Delikt sein. Vielleicht war es einer von diesen Typen hier, der sie abgemurkst hat.«
»Möglich. Ist dir aufgefallen, daß die alle eine Rolex am Handgelenk tragen? Das Modell, das du auf diesem Foto siehst, kostet an die 20 Millionen Lire.«
»Du hast recht«, sagte ich, und ging näher hin, um besser zu sehen. »Das sind alles Leute, die aussehen, als hätten sie Geld.«
Ein anderer Umschlag enthielt Fotografien, die nur Piera Belli, ihre Freundin und einen Mann zeigten, der eine Ledermaske mit Metallbeschlägen trug, in Höhe des Mundes ein vergoldeter Reißverschluß. Trotz der sadistischen Aufmachung hatte ich den Eindruck, daß er der Passive war, nicht die zwei Frauen. »Hier, die Fotos mit Magagnin«, sagte Rossini und reichte sie mir.
Magagnin zu sehen, in Lederhosen, die seine Genitalien entblößten, und in Gesellschaft seiner Professoressa in der Version »Richterin in der langen Robe« deprimierte mich und trocknete mir die Kehle aus.
Es war Zeit für eine Pause. Ich kippte mehrere Gläschen, aber ich fühlte mich noch völlig klar, als ich die Polaroid-Fotos wieder in die Hand nahm.
»Schwacher Magen, Sherlock Holmes?«
Ich antwortete nicht. Ich verweilte bei einem Schnappschuß, auf dem das Gesicht der Brünetten besonders scharf zu erkennen war.
»Erinnerst du dich, was Magagnin von der hier gesagt hat?«
»Er meinte, sie sei Verkäuferin.«
»Es ist vielleicht gar nicht so schwer, sie ausfindig zu machen. Ein Freund von mir, ein Saxophonist, kennt alle schönen Frauen von Padua, und ich glaube, die hier gehört in die Kategorie.«
Von den Fotos zu den Briefen. Auch in diesem Punkt hatte Magagnin die Wahrheit gesagt: Piera Belli war eine Graphomanin. Bei den hunderten von Seiten, die mit einer klaren und flüssigen Handschrift bedeckt waren, war alles dabei: Abschriften von Briefen an Geliebte bis hin zu der Auflistung der sexuellen Wünsche des Tages, von denen Magagnin erzählt hatte. Leider erschien nirgendwo ein Adressat. Die Briefe an den Freigänger erkannte ich lediglich deswegen, weil er mir davon erzählt hatte.
Die einzige Frau, von der die Rede war, war natürlich die, die überall auf den Fotografien als unzertrennliche Gefährtin der Dame des Hauses erschien. Auch ihr Name wurde nie preisgegeben. Sie war nur »meine dunkle Spielgefährtin«, die, wie aus einigen Sätzen hervorging, die Aufgabe hatte, ihr das Kokain zu beschaffen.
Vom Boden der letzten Schachtel holte Benjamino zwei Mappen hervor, die mit einem pinkfarbenen Band zugebunden waren. Die erste enthielt die Fotokopie eines längeren Artikels aus einer englischen Zeitschrift mit dem Titel Photography of bloodstains visualized by luminol, der von Hand auf 1973 datiert war, in einer Handschrift, die mit Sicherheit Piera Belli gehörte. »Schau her, sieht aus wie eine wissenschaftliche Zeitschrift.«
»Nun, die Verstorbene unterrichtete Englisch: Vielleicht handelt es sich um eine alte Übersetzung.«
»Und das, was ist das?« Benjamino reichte mir die zweite Mappe.
»Noch mehr Briefe. Schauen wir mal, an wen sie jetzt schreiben wollte.«
Zerstreut sah ich in den ersten Umschlag hinein, aber nach den ersten Zeilen war ich sofort wieder hellwach und ganz bei der Sache.
Diesmal hatte ich vielleicht ins Schwarze getroffen. Sämtliche Briefe waren an den Mann mit der schwarzen Ledermaske gerichtet; nicht nur lud ihn die Professoressa zu den gewohnten Treffen zu dritt ein – offenbar in Gesellschaft der Brünetten –, sondern sie erinnerte ihn auch daran, daß er noch die Monatsrate zu begleichen hatte, die ihr half zu vergessen, daß er der Verantwortliche für die Verurteilung eines Unschuldigen war. Alberto Magagnin.
»Ich glaube, wir haben die richtige Spur gefunden, hör zu«, sagte ich zu meinem Freund, und begann die Seite vorzulesen, die ich am interessantesten fand.
Unser Treffen findet am Sonntag statt. Richte es so ein, daß Du pünktlich um drei Uhr nachmittags hier sein kannst. Und nun wie immer meine Anweisungen:
Die Haustür wird nur angelehnt sein. Geh in das erste Zimmer links. Dort wirst Du einige kleine Überraschungen finden, neue Accessoires, die unser Zusammensein unvergeßlich machen werden. Siehst Du diese köstliche kleine Peitsche? Nimm sie in die Hand, ihr Griff ist aus Elfenbein, lang und schmal. Als ich ihn sah, kam mir so vieles in den Sinn … aber nicht jetzt. Leg erst einmal diese tristen,
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