Die Wahrheit des Alligators
Professoressa Belli zum Ziel seiner Rache erkoren hat. Der Schreiber war einer der zahlreichen Berichterstatter, die den Prozeß um das Verbrechen Evelina Mocellin Bianchini Ende 1976 mitverfolgten. Ich kann versichern, daß im Lauf der Verhandlungen nichts vorgefallen ist, was auf einen besonderen Groll des Angeklagten gegenüber dieser Geschworenen hindeuten könnte.
Warum also ausgerechnet die Belli? Vielleicht kann nur Magagnin darauf eine erschöpfende Antwort geben. In Erwartung, daß er gefaßt wird, und wir hoffen, daß dies so bald wie möglich geschieht, sollten die Ermittlungen in sämtliche Richtungen fortgeführt werden, und auch die unscheinbarsten Aspekte sollten in Betracht gezogen werden.
Ich legte die Zeitung auf die Knie und fuhr mir mit der Hand durch die Haare. Ich hätte mir die Zunge abbeißen mögen, weil ich mir dieses Detail über die Lage der Leiche hatte entschlüpfen lassen, als ich den anonymen Anruf machte. Dann aber riß ich die Seite mit dem Artikel heraus und faltete sie sorgfältig zusammen. Mir war eine Idee gekommen. Die Foscarini empfing uns mit einem »Und wer ist dieser Herr?«, womit Benjamino gemeint war.
»Mein Partner Benjamino Rossini. Da haben Sie Ihre kostbaren Akten wieder, Frau Anwältin. Ich überbringe Ihnen Grüße von Ihrem Mandanten. Apropos, er läßt Ihnen ausrichten, er möchte Sie lieber nicht treffen und noch viel weniger wolle er sich der Justiz stellen. Beim gegenwärtigen Stand der Dinge will er lieber versteckt bleiben und abwarten, daß sich die Situation klärt. Außerdem hat er mich beauftragt, parallele Ermittlungen durchzuführen, um den wahren Mörder zu finden.«
»Das bedeutet, daß Sie jetzt von seiner Unschuld überzeugt sind. Das überrascht mich. Erklären Sie mir das, ich bitte Sie.«
Ich erzählte ihr von meinen Entdeckungen und Schlußfolgerungen.
Zum Schluß sagte sie zur mir: »Ist Ihnen klar, daß Ihre Zeugenaussage ihn entlasten könnte? Als Alberto Magagnins Verteidigerin ist es meine Pflicht, Sie aufzufordern, beim Untersuchungsrichter vorzusprechen.«
»Reden Sie doch keinen Unsinn, Frau Anwältin. Wir wissen beide ganz genau, daß das gar nichts bringen würde und uns nur Schwierigkeiten machen würde. Was man machen kann, und das wünscht auch Ihr Mandant, ist, Ermittlungen aufzunehmen. Wenn wir unsere Kräfte zusammentun, könnte uns das vielleicht gelingen. Wir verfolgen die Spur Belli weiter, und Sie sammeln unterdessen Informationen aus dem Justizpalast. Was halten Sie davon?«
»Ich halte das für grundsätzlich falsch, und es hilft uns sicher nicht, Albertos Situation zu verbessern. Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, Buratti, ich weiß, daß Sie sich im Gangstermilieu bestens auskennen, und verschiedene Kollegen haben eine hohe Meinung von Ihnen, aber ich bezweifle, daß Sie in der Lage sind, so schwierige und komplexe Ermittlungen durchzuführen, wie sie bei einem vorsätzlichen Mord erforderlich sind. Aber wenn das Albertos Wunsch ist, werde ich versuchen, ihm zu helfen, soweit es in meinen Kräften steht und im Rahmen meiner Kompetenzen liegt. Sagen Sie ihm, ich bedaure, daß ich ihn nicht treffen kann, ich bin sicher, ich könnte ihn überzeugen. Geht es ihm wenigstens gut?«
»Ich würde sagen, er leidet nicht unter der Hitze, wie wir«, bemerkte Benjamino scheinheilig.
Ich warf ihm einen bösen Blick zu und sagte dann, wieder zur Anwältin gewandt: »Ich verstehe, daß Sie an meinen ermittlerischen Fähigkeiten zweifeln, aber Sie müssen sich darüber im klaren sein, daß wir die einzigen sind, die Ihrem Mandanten helfen können.«
»Haben Sie eine Idee?«
»Ein paar. Aber ich glaube nicht, daß Sie die kennenlernen möchten. Sie würden sie wahrscheinlich für etwas unprofessionell halten.«
Ich war schon im Begriff, den Raum zu verlassen, als sie mich unvermittelt fragte: »Und woher nimmt Alberto das Geld, um Sie zu bezahlen?«
Instinktiv erwiderte ich: »Und das Geld, das er Ihnen in all den Jahren gegeben hat, wo hat er das hergenommen?« Sie steckte den Schlag ein und senkte den Blick auf den Schreibtisch.
»Sind Eure Unterhaltungen immer so herzlich?« fragte mein Freund, während wir auf den Aufzug warteten. »Mehr oder weniger.«
»Sie hat uns zu verstehen gegeben, daß sie Magagnin gratis verteidigt hat, aber sie hat uns den Grund dafür nicht genannt. Mit so viel professionellem Eifer einen hoffnungslosen Fall zu betreuen, ohne den Anreiz des Gottes Mammon – das tut doch kein
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