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Die Wahrheit des Alligators

Die Wahrheit des Alligators

Titel: Die Wahrheit des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massimo Carlotto
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Gesichter der Teilnehmer auch mit bloßem Auge ganz genau zu erkennen. Benjamino zog die Polaroid-Fotos, die wir im Haus der Belli gefunden hatten, aus der Tasche.
    Schweigend sahen wir Sorgetti an, der auf der Stelle begriff. »Ich mach ’ne Pause, ich geh einen Kaffee trinken. In zehn Minuten bin ich wieder da.«
    Die Brünette trug ein schwarzes Kleid, das eher für eine Cocktailparty als für eine Beerdigung passend schien, aber ihr Gesicht war von aufrichtigen Tränen gezeichnet. Um sie herum die gesamte Rolex-Bande, mit den verzerrten Zügen und den typischen Grimassen von Leuten, die hinter vorgehaltener Hand tuscheln.
    »Hast du gesehen, Benjamino, daß sie der Versuchung nicht widerstanden haben, ihrer Zeremonienmeisterin das letzte Geleit zu geben?«
    »Stimmt. Wie eine Gruppe trauernder Freunde sehen die allerdings nicht aus, eher schon wie Verschwörer bei einer geheimen Zusammenkunft.«
    »Nach den Artikeln von Galderisi haben sie endlich die Gewißheit, daß die Fotos von ihren Spielchen jemandem in die Hände gefallen sind. Und da es sich nicht um die Polizei handelt, glauben sie vielleicht, daß sie sich auf neue Erpressungen gefaßt machen müssen.«
    »Ja. In diesen Tagen spuken wir einer Menge Leuten im Kopf herum. Diesen Idioten, dem Mörder und der ganzen Bullenschaft der Stadt. Und alle wollen sie rauskriegen, wer wir sind. Ich will mich ja nicht ständig wiederholen, aber.«
    »Du tust es aber, Benjamino, du tust es.« Als der Fotograf wiederkam, hatten wir schon die Probeabzüge ausgesucht, die uns interessierten. Ich wies mit dem Finger auf einen bestimmten. »Das hier bräuchte ich sofort.«
    Er betrachtete es. »Aha, Miss Beerdigung. Die Fotogenste unter den Trauernden, ohne Zweifel. In welchem Format die Vergrößerung?«

    Mein Freund, der Saxophonist, trat an diesem Abend mit seiner Band, dem Sax Appeal Saxophone Quartett, im Mezzocono auf, einem Lokal beim Ponte Molino, im Herzen der Altstadt. Ich wußte, daß er heute sein letztes Werk, eine CD mit dem Titel Giotto, präsentierte, auf der jeder Song nach einer anderen Farbe benannt war.
    Wie betraten das Lokal kurz vor Beginn des Konzerts, und ich lud den Musiker zu uns an den Tisch ein. »Benjamino, darf ich dir Maurizio Camardi vorstellen, einen hervorragenden Saxophonisten und wahren Experten in Sachen schöne Frauen von Padua.«
    »Hast du dich zum Jazz bekehrt?« fragte er mich amüsiert. »Noch nicht, auch wenn es immer ein Vergnügen ist, dir zuzuhören.« Ich hielt ihm das Foto mit der mysteriösen Brünetten hin. »Ich bin auf der Suche nach dieser Frau, kennst du sie? Scheinbar ist sie Verkäuferin in einer Boutique.«
    »Schöne Schnecke«, kommentierte er. »Ich habe sie schon mal irgendwo gesehen, aber im Augenblick fällt mir nichts dazu ein.«
    »Durchforste deine Kartei gründlich, Maurizio. Ich muß sie unbedingt finden.«
    »Laß mich darüber nachdenken.«
    Gegen Ende des Konzerts, als sie Violet spielten, nützte er das Solo eines anderen Musikers und kam noch einmal zu unserem Tisch herüber. »Sie ist nicht Verkäuferin«, flüsterte er mir ins Ohr, »sondern Inhaberin einer Boutique am Largo Pacinotti.«

    Der Firmenname Beverly Nails – Intimwäsche Damen und Herren stand über einem geschmackvoll eingerichteten Geschäft, geräumig und ziemlich gut besucht für einen heißen Julimorgen. Drei Verkäuferinnen arbeiteten dort, jung und mit fachkundigem Auftreten.
    Punkt 13 Uhr verließen die Mädchen das Geschäft, und Giusy Testa, die Inhaberin, verschloß die große Glastür von innen mit einem Schlüssel. Ich überquerte die Straße und klopfte an, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Neugierig drehte sie sich um, vor allem versuchte sie zu erkennen, was ich gegen die Scheibe gepreßt hatte. Sie kam näher, und als sie sah, daß es sich um ein Polaroidfoto handelte, auf dem sie im Akt der Fellatio mit dem Mann mit der Ledermaske zu sehen war, fuhr sie sich mit der Hand ans Herz, und von ihren Lippen konnte ich ablesen, daß sie »Oh, mein Gott«, ausrief. Ein paar Augenblicke lang blieben wir so stehen und starrten uns an, dann gab ich ihr zu verstehen, sie solle die Tür öffnen. Benjamino schloß sie wieder und lehnte sich mit dem Rücken dagegen, die Arme verschränkt. Wir schwiegen und sahen sie an, ohne eine Miene zu verziehen. Ich hielt das Foto weiterhin gut sichtbar vor mich hin. Man hörte nur ihren keuchenden Atem. Trotz der Klimaanlage liefen ihr einige Schweißperlen von den Schläfen den Hals

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