Die Wahrheit des Alligators
zu erstellen, das ein italienischer Kollege von ihm im Zusammenhang mit einem Mordfall für ein italienisches Gericht angefertigt hatte. Anfangs weigerte sich Cook, weil ihm die Anfrage merkwürdig und moralisch nicht vertretbar erschien. Die Professoressa ließ nicht locker, und nach einer Weile fuhr sie selbst nach London, wo sie um eine Unterredung mit diesem großen Wissenschaftler bat und ihr diese auch gewährt wurde. Sie hatte die Prozeßakten dabei. Sie erzählte, sie sei so sehr daran interessiert, weil sie in dem Prozeß Geschworene gewesen sei und weil bei den Beratungen zur Entscheidungsfindung über Schuld oder Unschuld des Angeklagten die Ergebnisse einer hämatologischen Untersuchung ausschlaggebend gewesen waren. Im Beratungssaal der Geschworenen hatte sie, wie die Mehrheit der Geschworenen, für einen Schuldspruch entschieden. Zu einem späteren Zeitpunkt jedoch«, die Anwältin hob den Zeigefinger der rechten Hand und begann, im Raum auf und ab zu gehen, »zu einem späteren Zeitpunkt fiel der Frau beim Durchblättern ihrer Unterlagen ein Artikel aus einer englischen Zeitschrift für Gerichtsmedizin in die Hände, den der italienische Gutachter als bibliographische Referenz beigefügt hatte. Die Belli behauptete, sie hätte ihn rein zufällig aufbewahrt, ich persönlich bezweifle aber, daß das der Fall war. es spielt jedenfalls keine Rolle. Was wirklich zählt, ist, daß ihr gewisse Ungereimtheiten in der Verfahrensweise auffielen, die im Prozeß völlig untergegangen waren. Sie gestand dem Professor, von dem Zeitpunkt an habe sie sich von dem Zweifel geplagt gefühlt, womöglich zu einem schweren Justizirrtum beigetragen zu haben. Sie bat ihn also, das Gutachten zu überprüfen, denn wenn er es als falsch beurteilen würde, dann würde sie sich bei den Richtern für eine Revision des verhängnisvollen Urteils einsetzen.« Mit einer Handbewegung unterbrach ich sie. »Wenn ich mich nicht täusche«, sagte ich zu Benjamino gewandt, »lag in einer dieser Schachteln, die wir im Kämmerchen gefunden haben, die Fotokopie eines englischen Artikels.«
Kurz darauf kam mein Freund mit ein paar Blättern wieder und hielt sie der Foscarini hin.
»Genau das ist es«, bestätigte sie, nachdem sie sie rasch durchgesehen hatte. »Photography of bloodstains visualized by luminol aus der Zeitschrift Journal of Forsensic Sciences von 1973. Es geht dabei um die Technik, im Dunkeln das chemische Leuchten zu fotografieren, das von Luminol hervorgerufen wird.«
»Erklären Sie das deutlicher«, unterbrach ich sie. »Für uns sind das böhmische Dörfer.«
»Sicher. Sie müssen wissen, daß es verschiedene Verfahren gibt, um das Vorhandensein und die Menge von Blutflecken an Kleidungsstücken und anderen Gegenständen festzustellen. Eines davon ist die Lumineszenz-Methode, sie basiert auf der chemischen Reaktion von Luminol mit Blut; die Verbindung der zwei Substanzen im Dunkeln ruft ein Leuchten hervor. Aber da das Phänomen nur von kurzer Dauer ist, werden im Labor Fotos davon gemacht, die dann bei Gericht vorgelegt werden. Und damit kommen wir zum Prozeß um den Tod von Eva Mocellin Bianchini. Die Anklage vertrat die Auffassung, Alberto Magagnin sei der Täter des Verbrechens, und er habe den Tod des Opfers herbeigeführt, indem er ihr ein gutes Dutzend Messerstiche zufügte. Die Verteidigung hingegen war der Ansicht, daß Magagnin nicht log, wenn er sagte, er hätte sie schon tot aufgefunden und hätte sich nur durch den ungeschickten Versuch, ihr zu helfen, mit Blut befleckt. Außerdem sah man die Flecken mit bloßem Auge.
Ihr versteht also, die Frage, die das Gericht zu klären hatte, war: Ist die Menge Blut an den Kleidern des Angeklagten mit einem kurzen Kontakt zwischen den Körpern zu erklären – das war die These der Verteidigung, oder mit einer länger anhaltenden Berührung, das heißt durch die Mordtat, zu erklären – diese Auffassung vertrat die Anklage. Das Gutachten fiel zugunsten der zweiten These aus und bewirkte damit Magagnins Verurteilung. Das alles erzählte Piera Belli dem Professor Cook, der erstaunt war zu hören, daß in Italien eine Methode angewandt wurde, die von der internationalen wissenschaftlichen Gemeinschaft längst aufgegeben worden ist, da sie einhellig als unzuverlässig und viel zu unpräzise beurteilt wird, denn das Luminol reagiert sowohl auf Blut wie auch auf verschiedene andere Substanzen. Also nahm er den Auftrag ohne Zögern an. Er wiederholte den Test im Labor und
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