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Die Wahrheit des Alligators

Die Wahrheit des Alligators

Titel: Die Wahrheit des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massimo Carlotto
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ist Professor Artoni zum Direktor des Zentrums für Kriminologische Forschung ernannt worden. Diese Stellung war immer seine höchste Ambition. Er hat viel Ellbogen einsetzen müssen, um sie zu erreichen und einem Haufen anderer Koryphäen den Rang abzulaufen. Von dem Moment an war er jedoch verwundbar, ein Skandal hätte seine Karriere für immer ruiniert.«
    »Der Fall ist gelöst, Anwältin Foscarini. Jetzt bringen wir Sie nach Padua. Sie gehen zum Richter, zeigen Artoni an und lassen das Verfahren wegen des Verbrechens von 1976 wiederaufnehmen.« Die Frau schüttelte den Kopf. »Wollen Sie etwa ausgerechnet jetzt einen Rückzieher machen?«
    »Daß ich nicht lache, Buratti. Was soll ich dem Richter denn erzählen? Ihre Heldentaten als Privatdetektiv? Wir haben nicht die Spur eines Beweises. Denken Sie an die Erpressung: In keinem ihrer Briefe nennt die Belli den Namen Artoni. Und was den Mord angeht, da haben wir nur Ihre Zeugenaussage, der im übrigen – es tut mir leid, das wiederholen zu müssen – keiner Glauben schenken würde.«
    »Einen Moment«, unterbrach ich sie. »Nigel Cook würden sie glauben.«
    »Seine Zeugenaussage würde lediglich beweisen, daß Piera Belli sich an ihn gewandt hat, um ein Gegengutachten zu dem von Artoni erstellten machen zu lassen. Nichts weiter. Cook kann uns nicht mal dabei behilflich sein, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu erwirken: Unser Strafrecht erlaubt eine Wiederaufnahme nur, wenn in der Zwischenzeit neue Elemente aufgetaucht sind. Ein falsches Gutachten, auch wenn es einen Unschuldigen ins Gefängnis gebracht hat, ist nicht ausreichend, und zwar aus dem einfachen Grund, daß es von den Richtern geprüft wurde. Das ist ein alter Hut. Im übrigen betrachtet unser Recht die Richter als die Sachverständigen der Sachverständigem, es liegt in ihrem Ermessen, die Ergebnisse der Sachverständigen zu akzeptieren oder nicht. Ist das Urteil erst einmal rechtskräftig, dann ist nichts mehr zu machen. ich hatte es Ihnen gesagt, Buratti, daß Sie mit Ihren Methoden zu keinem Ergebnis kommen würden. Außerdem waren Sie auch überzeugt, daß wir, wenn wir nur die Identität des maskierten Mannes aufdeckten, die Wahrheit über beide Verbrechen herausfinden würden, aber auch das hat sich als falsch erwiesen: Artoni hat die Belli ermordet, und wir können es nicht beweisen, aber wer hat Evelina Mocellin Bianchini umgebracht?«
    »Sie hat recht, Marco«, warf Rossini ein. »Wir sind in einer Sackgasse.«
    Ich drückte die Zigarette aus und ging die Calvados-Flasche holen. Ich mußte nachdenken. Ich versank in meinen Gedanken und bemerkte gar nicht, daß Benjamino hinausging, um Barbara Foscarini nach Padua zu bringen. Als er wiederkam, war er bepackt mit Lebensmitteln. »Ich muß ein paar Tage nach Dalmatien, geschäftlich. Kommst du mit? Ein Ortswechsel wird dir guttun, das lüftet das Hirn aus.«
    »Und die Foscarini?«
    »Die ist in ihrem Häuschen. Unterwegs mußte ich sie nochmals daran erinnern, daß wir immer noch in der Lage sind, ihr Leben zu ruinieren, wenn sie uns wo reinzieht.«
    »War das nötig?«
    »Ja. Sie verheimlicht uns etwas, und ich will da keine Überraschungen. Also, kommst du mit?«
    »Trinken die Calvados, in Dalmatien?«
    »Nein, aber Onkel Benjamino hat auch daran gedacht«, er hielt zwei Flaschen hoch und sah mich grinsend an. Wie fuhren mit dem Motorboot. Es war für die Anforderungen des Schmuggels bestens umgebaut worden, und es kam mir vor, als flögen wir über den Wellen. Während mein Freund unterwegs war, um Geschäfte abzuschließen, brachte ich den Samstag und Sonntag in einer Bar am Hafen zu, schaute aufs Meer und hörte keinen Moment auf nachzudenken. In der ersten Morgendämmerung des Montagmorgens kamen wir nach Punta Sabbioni zurück. Benjamino stieg als erster aus. Als er sich umdrehte, um mir zu helfen, sagte ich zu ihm: »So darf das nicht enden.«
    »Dacht ich’s mir doch.«

    Der zentrale Punkt meiner Überlegungen war die Tatsache, daß Emilio Artoni sich in einem Zustand großer Anspannung befinden mußte. Das eigene Gesicht in der Zeitung zu sehen, wenn auch hinter einer Maske verborgen, und in der Bildunterschrift zu lesen, daß man des Mordes verdächtigt wurde, das mußte ein arger Schock sein. Obendrein zu entdecken, daß derjenige, auf den man alle Schuld abwälzen wollte, noch immer nicht im Gefängnis sitzt und mit Gewißheit einen Komplizen hat, der die Adreßkartei des eigenen Opfers in Händen hat, ist noch schlimmer.

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