Die Wahrheit des Alligators
stellte fest, daß das fotografische Verfahren durch die Verwendung übertrieben großer Mengen des Reagenzstoffs und durch überlange Belichtungszeiten des Films die Menge des vorhandenen Bluts entschieden überbewertet hatte. Kurzum, die Aufnahmen, die man dem Gericht vorgelegt hatte, zeigten nichts weiter als winzige Blutspuren, die durch fotografische Effekte ins Gigantische vergrößert worden waren.«
Barbara Foscarini unterbrach sich kurz, um einen Schluck Tee zu trinken.
»Dann war Cook auch verblüfft vom Verhalten des Gutachters: Er hatte dem Gericht die Beschreibung einer präzisen Technik der fotografischen Reproduktion vorgelegt und sie zugleich durch seinen eigenen Bericht völlig verzerrt.«
»Und die Belli, wie war sie auf die Idee gekommen, daß da irgend etwas nicht stimmte?«
»Wir sollten nicht außer acht lassen, daß sie Englisch unterrichtete. Gerade aufgrund dieser spezifischen Kenntnisse hatte der Vorsitzende des Gerichts sie vermutlich gebeten, den Artikel zu lesen und zu überprüfen, ob er mit dem Gutachten übereinstimmte.«
»Ja, so muß das gewesen sein«, räumte ich ein. »Die Belli hatte bemerkt, daß das Gutachten falsch war, daß es das Urteil des Gerichts in eine falsche Richtung lenkte, aber sie beschloß, das alles für sich zu behalten, weil sie ahnte, daß ihr das Ganze eines Tages noch nützlich werden könnte. Was ich allerdings nicht verstehe, ist, weshalb Sie, Anwältin Foscarini, nichts bemerkt haben. Der ganze Prozeß drehte sich doch um dieses Gutachten.«
»Das war nicht meine Aufgabe, sondern die des Gutachters der Verteidigung. Ich verstehe doch nichts von diesen chemischen Prozessen.«
»Dann formuliere ich meine Frage um: Weshalb hat der Gutachter der Verteidigung nichts bemerkt?«
»Ich weiß es nicht. Glauben Sie mir, ich bin so überrascht wie Sie, daß so etwas hat passieren können. Er hat sämtliche Phasen der Laboruntersuchung persönlich mitverfolgt. Allerdings ist der Artikel erst später vorgelegt worden, kurz vor dem Prozeß … aber er kannte den Gutachter gut, den das Gericht beauftragt hatte, er war noch im Jahr zuvor sein Schüler gewesen …«
»Ein Anfänger«, platzte Rossini heraus. »Das weiß doch jeder, daß beim Schwurgericht die Gutachter der Verteidigung genauso gut, wenn nicht besser sein müssen, als die vom Gericht benannten. Die Richter nehmen sie ohnehin schon nicht für voll, weil sie sie für parteiisch halten, und wenn es dann auch noch blutige Anfänger sind.«
»Sie waren auch noch jung, nicht wahr, Frau Anwältin?« fragte ich. »Wie viele Prozesse hatten Sie vor dem Schwurgericht schon mitgemacht?«
»Es war mein erster«, antwortete sie mit gesenktem Blick. »Also dann waren es zwei Anfänger auf einmal«, schloß Benjamino und breitete die Arme aus. »Da hatte Magagnin ja wirklich gar keine Chance. Bei Ihnen blickt man immer weniger durch, es ist völlig unverständlich, weshalb Sie Magagnin um jeden Preis verteidigen wollten, auch wenn er Sie nicht bezahlte.«
»Lassen wir’s vorerst dabei, Benjamino«, ich stand auf. »Was mir im Moment am Herzen liegt, das ist der Name des Gerichtsgutachters«, ich näherte mich dem Stuhl, auf den Barbara Foscarini sich hatte fallen lassen. »Kommen Sie, Frau Anwältin, sagen Sie uns, wie der Mörder von Piera Belli heißt. Bestätigen Sie mir, daß er der maskierte Mann auf den Fotos ist, der sich erpressen ließ, weil die Belli wußte, daß sein Gutachten zur Verurteilung eines Unschuldigen geführt hatte. So ist es doch, nicht wahr?«
»Ja« gab sie kaum hörbar zu. »Da gibt’s keinen Zweifel. Der Mörder ist Professor Emilio Artoni. Nur ein Gerichtsmediziner konnte die verschiedenen Stadien der Verwesung so genau kennen und folglich die fundamentale Bedeutung der Uhr am Handgelenk von Piera Belli einschätzen.«
»Ja«, sagte ich. »Als guter Kriminologe hatte er alles perfekt eingefädelt. Sicher konnte er nicht vorhersehen, daß Sie jemanden beauftragen würden, Magagnin ausfindig zu machen, und daß dieser jemand über die Leiche von Piera Belli stolpern würde und sich ihre Uhr genau anschauen würde. Das ist die klassische Bananenschale, die einen guten, nein, einen exzellenten Plan zu Fall bringt.«
Ich zündete mir noch eine Zigarette an. »Aber warum hat die Belli dann erst vor drei Jahren angefangen, ihn zu erpressen, warum hat sie über zehn Jahre gewartet? Kann ein falsches Gutachten denn ein ausreichender Grund zum Töten sein?«
»Genau vor drei Jahren
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