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Die Wahrheit des Alligators

Die Wahrheit des Alligators

Titel: Die Wahrheit des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massimo Carlotto
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befahl ich und stand auf. »Hinterlassen Sie bei Ihrer Sekretärin Namen und Telefonnummer des Hotels, wo Sie übernachten. Ich werde mich melden.«
    »Gute Reise, Frau Anwältin«, grüßte Benjamino sie beim Hinausgehen.

    Ich informierte mich über die Flüge vom Flughafen Tessera aus nach London. Den ganzen Tag über kontrollierten Rossini und ich die Passagiere. Sie nahm die letzte Maschine. Sie hatte einen kleinen Koffer bei sich. Am nächsten Tag rief ich sie an. Sie sagte mir, es sei nicht einfach gewesen, ein Treffen mit Nigel Cook auszumachen, aber schließlich hatte er eingewilligt, heute mit ihr zu Abend zu essen.
    Ab 22 Uhr rief ich jede Viertelstunde bei ihr an, ich erreichte sie gegen Mitternacht.
    »Ich hänge an Ihren Lippen, Frau Anwältin.«
    »Ich komme morgen zurück, ich bin um 14 Uhr 20 in Tessera.«
    »Haben Sie etwas gefunden?«
    »Ja.«
    »Also los, sagen Sie’s mir.«
    »Buratti, verdammt, lassen Sie mich in Frieden, ich bin völlig durcheinander.«

D iesen Freitag, den 7. Juli, werde ich für den Rest meines Lebens nicht vergessen. Es war der Wendepunkt in der Geschichte. Genau elf Tage, nachdem sie mir den Auftrag gegeben hatte, Alberto Magagnin zu finden, saß die Anwältin Barbara Foscarini am Tisch in Benjaminos Wohnzimmer in Punta Sabbioni. Vom Flughafen aus hatten wir sie direkt dorthin gebracht. Sie hatte es vermutlich gar nicht bemerkt. Sie war seltsam, abwesend, wie ausgeleert, unfrisiert und ohne eine Spur von Make-up. Daß sie unheimlich angespannt war, merkte man an den Schweißflecken auf der Bluse und am Gesicht, das völlig verschwitzt war, obwohl der Raum kühl und gut belüftet war. Bis dahin hatte sie den Mund noch nicht aufgemacht, und als sie es tat, war ihre Kehle so trocken, daß sie nicht sprechen konnte. Rossini lief in die Küche und kam mit einem Glas kalten Tee wieder. »Trinken Sie«, sagte er. »Das wird Ihnen guttun. Er ist mit Pfirsichgeschmack.«
    Sie erholte sich langsam, sehr langsam, zu langsam für meine ungeduldige Wißbegier. Ich hätte mit der Faust auf den Tisch hauen mögen und sie anschreien, sie solle reden, aber ich hielt mich zurück, weil ich mir dachte, jetzt wäre Geduld angebracht, sonst bestünde die Gefahr, daß sie vollends die Nerven verlor.
    Auch Benjamino war dieser Meinung. »Mach langsam«, hatte er mir zugeflüstert, »sie ist völlig fertig. Sie muß sich erst ein bißchen ausweinen, dann wird sie uns alles erzählen.« Und genauso kam es. Fast dankbar nahm sie das Papiertaschentuch entgegen, das ich ihr reichte, und schneuzte sich damit geräuschvoll.
    »Buratti, schließen wir ein Abkommen«, endlich sah sie mir in die Augen. »Ich erzähle Ihnen, was Professor Cook mir gesagt hat, aber dann lassen Sie mich raus aus diesem Fall, und ich kann das Mandat der Verteidigung von Alberto Magagnin niederlegen. Sie haben mich bedroht, erpreßt, gezwungen, nach England zu fliegen. Jetzt, wo ich zurück bin, wird mir klar, daß ich für derartige Situationen nicht geschaffen bin. Alberto hat ein Anrecht auf die bestmögliche Verteidigung, und die konnte ich ihm bisher nicht gewährleisten. Es ist also auch in seinem Interesse, daß ich für immer von der Bildfläche verschwinde.«
    Der Ton der Stimme war wieder fest und bestimmt, der Blick aber nach wie vor verzweifelt. Ich zündete mir eine Zigarette an und fixierte sie weiter, ich dachte über das nach, was sie mir gesagt hatte. Versprechen konnte ich ihr nichts. Ich hatte nicht genügend Elemente an der Hand, um zu entscheiden, ob sie mir noch nützlich sein konnte. In einem Punkt hatte sie sicher recht: Es hatte keinen Sinn mehr, einen toten Mandanten zu vertreten.
    Ich sprach meine Überlegungen laut aus: »Das hängt alles davon ab, was Sie mir erzählen. Wenn die Informationen, die Sie uns jetzt geben, Ihre Beteiligung bei den Ermittlungen überflüssig machen, dann lassen wir uns in Zukunft weder blicken noch hören, das verspreche ich Ihnen. Was Albertos Verteidigung angeht, bin ich sicher, daß ich ihn davon überzeugen kann, sich einen anderen Anwalt zu suchen.«
    »Einverstanden«, willigte sie nach einem Augenblick des Nachdenkens ein. Dann bat sie um etwas Tee, stand auf und begann zu sprechen, als wäre sie vor Gericht.
    »Vor drei Jahren setzte sich Piera Belli telefonisch mit Professor Nigel Cook in Verbindung, der unbestritten als der Fachmann für forensische Hämatologie in England gilt; sie wollte ihn fragen, ob er bereit wäre, ein Gegengutachten zu einem Gutachten

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