Die Wahrheit des Alligators
hatte. »Lassen Sie Ihre persönlichen Ressentiments beiseite, wir müssen uns der heiligen Sache der Justiz widmen«, sagte ich ärgerlich.
»Jedesmal, wenn ich Sie sehe, ist mir der Tag vergällt. Ihre bloße Gegenwart irritiert mich schon. Wenn Sie dann auch noch den Mund aufmachen, packt mich unweigerlich das Bedürfnis, Ihnen etwas an den Kopf zu werfen. Arrogant und lächerlich! Sie wirken wie aus einem Gangsterfilm der vierziger Jahre.«
Benjamino stand vom Stuhl auf und beugte sich weit über den Schreibtisch, bis dicht vor die Nasenspitze der Anwältin. »Jetzt reicht’s«, sagte er in bestimmtem Ton und setzte sich wieder.
Barbara Foscarini beruhigte sich und fragte mich: »Was wollen Sie?«
»Wie kommen Sie mit dem Englischen zurecht?«
»Ich spreche es fließend. Warum?«
Ich spielte ihr das Tonband mit dem Geständnis von Giusy Testa vor und erzählte ihr von den Recherchen Galderisis bei der Bank.
»Und Sie wollen, daß ich zu diesem Professor Cook fahre und mit ihm rede?«
»Ja.«
»Meine Antwort ist aber nein. Fahren Sie doch selbst hin. Was Sie mir erzählt haben, ist erschütternd, aber es reicht weder aus, um den alten Prozeß wiederaufzurollen, noch ließe sich dadurch verhindern, daß Alberto wegen des Mordfalls Belli verfolgt wird.«
»Ehrlich gesagt, verstehe ich Sie nicht. Den Mann mit der Maske zu schnappen, bedeutet, die Wahrheit über beide Verbrechen herauszufinden und Magagnin vollständig zu entlasten. Es ist nicht gesagt, daß die englische Spur uns direkt zu ihm führt, aber da es momentan die einzige ist, die wir haben, lohnt sich der Versuch.«
»Mein Einwand bezieht sich nicht darauf, Buratti. Diese Informationen sind auf illegalem Wege beschafft worden, vor Gericht völlig wertlos. Als Albertos Anwalt kann ich nicht zulassen, daß mein Mandant geschädigt wird.«
»Hier geht es darum, die Wahrheit herauszufinden, und die Wahrheit kann Magagnin nicht schaden, sondern nur dem wirklichen Schuldigen. Und die juristischen Fragen, die lassen sich aus dem Weg räumen, Frau Anwältin, schließlich sind wir in Italien.«
»Ich weiß, wo wir sind, aber ich kann nicht.«
»Weil Sie nicht bis zur Wahrheit vordringen wollen?«
»Sie irren sich. Ich will es so sehr wie Sie, allerdings im Rahmen des Gesetzes.«
»Ich dagegen glaube das nicht. Je besser ich Sie kennenlerne, um so mehr komme ich zu der Überzeugung, daß Sie uns etwas verbergen, vielleicht etwas, was zur Zeit des Prozesses passiert ist. Und das würde dann auch erklären, warum sich Ihr Verhalten geändert hat, seitdem Magagnin mich mit der Suche nach dem wirklichen Mörder beauftragt hat. Wo ist denn die Verzweiflung hin, die Sie bei unseren ersten Treffen in der Stimme hatten, als Sie vom Schicksal Ihres zu Unrecht verurteilten Mandanten erzählten?«
»Gehen Sie.«
»Nein. Und ich werde meinen Arsch auch erst dann von diesem Stuhl erheben, wenn es mir paßt, und nicht, ohne zuvor ein paar Details geklärt zu haben. Zum Beispiel, warum Magagnin Sie nie bezahlt hat, obwohl Sie nicht als Pflichtverteidiger nominiert waren?«
Wenn sie wenig zuvor empört gewirkt hatte über mein Verhalten, schien sie jetzt entschieden in Schwierigkeiten zu sein. Sie hielt den Blick gesenkt und knetete ihre Hände. »Das geht Sie nichts an.«
»Wie die Tatsache, daß die Gewißheit, mit der Sie Magagnins Unschuld verkünden, nicht allein vom Studium der Prozeßakten herrührt, sondern daher, daß Sie darüber hinaus noch das eine oder andere wissen, nicht wahr, Frau Anwältin?« Diesmal antwortete sie nicht, und ihr Schweigen klang wie Zustimmung.
Ein paar Augenblicke lang herrschte gespanntes Schweigen. »Sagen Sie Alberto, daß ich das Mandat niederlege. Er soll sich einen anderen Anwalt suchen.«
»Nein. Statt dessen werden Sie nach England fahren und mit diesem Professor sprechen. Was auch immer Ihre Verantwortung in dieser Sache sein mag, Sie werden Magagnin weiterhin vertreten.«
»Sie drohen mir?«
»Ja. Ich bin in der Lage, Ihnen die Karriere zu ruinieren. Und wenn Sie wollen, erkläre ich Ihnen auch wie: Man braucht bloß in Gefängniskreisen das Gerücht auszustreuen, daß Sie nicht verläßlich sind. Sie werden keine Mandanten mehr finden, und nach einer Weile werden auch Ihre Kollegen und die Richter anfangen, sich ein paar Fragen zu stellen.«
»Es ist nicht so, wie Sie glauben …«
»Also?«
»Ich fahre. Nächste Woche habe ich keine Gerichtster mine.«
»Morgen.«
»Aber ich kann nicht.«
»Morgen«,
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