Die Wahrheit des Alligators
Nicht zu wissen schließlich, ob auch noch andere über die quälende Erpressung im Bilde sind, aber, wenn man clever ist – und das ist er mit Sicherheit –, davon ausgehen zu müssen, das ist wirklich zuviel. Der Professor war kein skrupelloser Gangster, und noch viel weniger ein Killer. Zum Mord hatte er gegriffen nach drei Jahren der psychischen Qual, war also bestimmt verzweifelt, am Rande des Nervenzusammenbruchs. Da war ich mir sicher. »Vielleicht erwartet er, daß die Erpressung nun in andere Hände übergeht, daß jemand Kontakt zu ihm aufnimmt, um ihm noch mehr Geld abzupressen. Wir könnten ihn in eine Falle locken: Ihm vormachen, daß das so ist, und ihn dadurch zum Reden bringen, dann aber alles auf Tonband aufnehmen und sein Geständnis mit nach Haus nehmen.«
»Immer diese komplizierten Pläne«, kommentierte Benjamino. »Warum streichen wir ihn nicht einfach von der Spesenliste? Wir lauern ihm vor seinem Haus auf und erschießen ihn, mit Schalldämpfer. Im Wagen habe ich ein kroatisches Prachtstück versteckt, das die da unten für ihre ethnischen Säuberungen benutzen.«
»Einfach bescheuert, Benjamino. Wenn wir ihn umbringen, dann müssen wir auch Barbara Foscarini umlegen, denn die würde bei Mord nicht den Mund halten. Und dann der Reihe nach Giusy Testa, Bepi Baldan …«
»Einverstanden, mein Plan ist nicht gut, aber deiner ist einfach Scheiße. Artoni ist garantiert nicht blöd, und im Kino ist er bestimmt auch schon mal gewesen. Wenn du ihm ein Treffen vorschlägst, kommt er nicht. Da könnte er ja gleich ein Geständnis ablegen.«
»Dann könnten wir doch zu ihm gehen. Ihn überraschen.«
»Das klingt schon besser. Aber eines solltest du bedenken, Marco: Wir dürfen auf gar keinen Fall mit leeren Händen nach Hause kommen, sonst trickst er uns nämlich aus. Gerichtsmediziner sind eng verwandt mit Bullen und Richtern.«
»Was heißt das?«
»Daß wir das Geständnis um jeden Preis erzwingen müssen. Das ist einer, der hat sein Leben damit zugebracht, gute Christen aufzuschlitzen und Kriminologie zu studieren, und wie ich das sehe, fällt der auf das Spiel vom Guten und vom Bösen nicht herein.«
»Hm. Die Situation könnte brenzlig werden. Das ist es doch, was du sagen willst.«
»Ich will sagen, daß man bei so ’nem Stück Scheiße wie dem ’nen starken Magen haben muß. Traust du dir das zu?«
»Ja. Nein. Vielleicht wird es gar nicht nötig sein. Er ist vor lauter Streß am Ende seiner Kräfte, da bin ich mir sicher.«
»Wir werden ja sehen. Und mit dem Band, was machen wir da? Vor Gericht wäre es völlig wertlos, würde die Foscarini sagen.«
»Das weiß ich noch nicht. Das Wichtigste ist, eine Aufnahme zu machen, das ist die einzige Waffe, mit der wir Artoni zwingen können, seine Rechnung zu begleichen.«
»Also fahren wir zurück nach Padua, wir müssen unseren Plan vorbereiten.«
Beim geduldigen Durchblättern der Zeitschriften im städtischen Zeitungsarchiv stießen wir auf ein Foto des Professors. Um es uns gut einzuprägen, betrachteten wir es lange: Es war das Gesicht eines Sechzigjährigen mit harten Zügen, die vor allem durch die kräftigen Kinnladen und den preußischen Schnurrbart unterstrichen wurden. Das Gesicht eines Mannes, der zu befehlen gewohnt ist.
Anfangs hatten wir uns überlegt, ihn uns zu schnappen und an einen ruhigen Ort zu bringen, wo wir ihn hätten befragen können. Dann hatten wir die Idee aber als zu riskant verworfen.
Wir kontrollierten die Orte, an denen er sich gewöhnlich aufhielt: die Wohnung, das Forschungszentrum, dessen Direktor er war, und die Privatpraxis, die er sich mit einem anderen Gerichtsmediziner, Professor Francesco Ferrini, teilte, und deren Eingang auf ein Gäßchen des alten Ghettos hinausging, gleich hinter der Piazza delle Erbe. Von den drei Schauplätzen bot die Praxis die besten Bedingungen, sei es für die Beschattung, sei es für einen Überfall. Innerhalb von drei Tagen hatten wir herausgefunden, daß die beiden Sekretärinnen ihren Arbeitsplatz zu Fuß erreichten, während Artoni und sein Partner beide im Wagen kamen und in der Tiefgarage unter dem Gebäude parkten. Das Gebäude selbst, nobel und frisch renoviert, wurde von einem jungen Hausmeister beaufsichtigt, der sich keinen Augenblick aus seiner Loge rührte. Durch den Haupteingang hineinzukommen, wäre also unmöglich gewesen. Also registrierten wir die Zeiten, zu denen die einzelnen Mitarbeiter das Gebäude verließen. Die Sekretärinnen gingen um
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