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Die Wahrheit des Blutes

Die Wahrheit des Blutes

Titel: Die Wahrheit des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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wie man aus der Salzverbindung ein Gift herstellen konnte. Sie hatten gelernt, dass Selbstmordkandidaten sich gern für dieses Gift entschieden, weil es sehr wirksam ist. Sie waren der Spur von Amateurchemikern gefolgt. Alles umsonst.
    Auch hinsichtlich des Opfers fanden sie sich in einem schwarzen Loch wieder. Weder Audrey Seurat noch ihre Umgebung boten den leisesten Anhaltspunkt für einen Verdacht. Die junge Frau, eine Postangestellte, war seit zwei Jahren verheiratet, ihr Ehemann Sylvain arbeitete als Computeringenieur. Sie stammten beide aus Saint-Denis, lebten in der Siedlung Floréal, hatten gerade erst einen gebrauchten Golf gekauft und ihren Platz in der Entbindungsklinik Delafontaine bereits reserviert. Sylvain hatte bei seiner Firma auch schon Erziehungsurlaub beantragt. Ein kleines Glück, das unversehens zerstört worden war.
    Bis Mitte März hatte Passan noch absolut nichts in der Hand. Seine Vorgesetzten übten zunehmend Druck auf ihn aus. Ivo Calvini, der Untersuchungsrichter, rief mindestens einmal am Tag bei ihm an. Lediglich einen Umstand konnte er als positiv verzeichnen: Die Medien hatten sich nicht für den Fall interessiert. Weil sie nicht über alles Bescheid wussten, konnten die Journalisten das spektakuläre Ausmaß des Delikts nicht ermessen.
    Passan ließ nicht locker. Akribisch erforschte er, wie Audrey ihre letzten Lebenswochen verbracht hatte. Er befragte ihren Arbeitgeber, ihre Kollegen, ihre Freunde, ihre Familie, den Gynäkologen, den Fitnesstrainer und ihren Friseur. Er suchte sogar die Werkstatt von Alfieri Automobiles in La Courneuve auf, wo die Seurats ihren Golf gekauft hatten. Er ging davon aus, dass Audrey zu irgendeinem Zeitpunkt ihrem Mörder begegnet sein musste und dass irgendein Detail ihrer Person – Gesicht? Kleider? Schwangerschaft? – die kriminelle Energie des Wahnsinnigen angestachelt hatte. Indem er jedem ihrer Wege nachging, würde er vielleicht ebenfalls die Bahn des Mörders kreuzen.
    Er kehrte zu den markanten Punkten zurück. Zur Post von Montfermeil und ihrer Umgebung, wo Audrey verschwunden war, und in die Wohnsiedlung, wo man sie gefunden hatte. Inkognito fuhr er mit dem Vorortzug hin und spazierte zwischen den kleinen Wohneinheiten herum, die man als Antwort der 1960er-Jahre auf die Riesenkästen des Jahrzehnts davor erbaut hatte.
    Er ließ sich durch das Viertel treiben und lauschte seinem Pulsschlag. Immer wieder dachte er darüber nach, dass der Mörder einen Grund dafür haben musste, sich ausgerechnet für diese Gegend zu interessieren. Entweder wohnte er selbst dort, oder – und das erschien ihm wahrscheinlicher – er hatte seine Kindheit dort verbracht, und es gab ein traumatisches Erlebnis, das ihn immer wieder dorthin zurückführte.
    Es waren reine Vermutungen. Ende März war Passan fast so weit zu glauben, dass man nie mehr etwas von Audrey Seurats Mörder hören würde.
    Wenige Tage später wurde die nächste Leiche gefunden …
    Das Telefon klingelte. Passan zuckte zusammen, als hätte er einen Elektrozaun berührt.
    Er stellte fest, dass er zwischen seinen Aktenordnern auf dem Boden saß. Seine Finger waren tintenfleckig und staubig. Wieder einmal hatte die Ermittlung ihn in sich aufgesaugt wie in ein Magnetfeld.
    Es klingelte weiter. Passan sah auf die Uhr. Fünf. Geschlagene zwei Stunden hatte er damit verbracht, Dokumente zu lesen, deren Inhalt er längst auswendig kannte. Bestimmt hatten die Kollegen sich königlich amüsiert, ihn durch die Glaswände so dasitzen zu sehen.
    Das Telefon schrillte weiter.
    Steif richtete Passan sich auf und tastete nach dem Apparat.
    »Hallo?«
    »Sie sind da.«
    Es war Lefebvre.
    »Wer?«
    »Die Leute von der Dienstaufsicht. Sie warten in der dritten Etage. Beeil dich.«
    Passan legte auf. Er konnte sich eines Lächelns nicht erwehren.
    Nach der Gardinenpredigt des Kriminaldirektors nun also die Tretmühle der Dienstaufsicht.
    Bei den französischen Behörden war man eben vor jeder Überraschung gefeit.

14
    Drei Stunden später flog Yukio Mishima in einen Karton, unmittelbar gefolgt von Yasunari Kawabata und Akira Kurosawa. Zwei Selbstmörder, ein Überlebender. Passan legte Wert darauf, die Porträts in sein Appartement in Puteaux mitzunehmen. Immerhin handelte es sich um außergewöhnliche Künstler, deren tragisches Leben auf mysteriöse Weise ihr Werk bereichert hatte. Für Passan hatte ihr Selbstmord einen ästhetischen Wert. Kawabata, Nobelpreisträger für Literatur, drehte mit über

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