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Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
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in Druck gegangen. Fünfzigtausend kleine Pappschachteln hatten heute die Druckerpresse verlassen. Fünfzigtausend breit grinsende Drachen in sattem Lila.
    All die Arbeit, die in diesen Drachen steckte. All die E-Mails. All die Diskussionen. Und während Tess über Drachen geredet hatte, hatten Will und Felicity sich ineinander verliebt.
    »Nein«, sagte Tess mit Blick auf ihren Mann und ihre Cousine, die beide noch immer mit hängendem Kopf am Besprechungstisch mitten im Raum saßen und auf ihre Fingerspitzen starrten wie Teenager beim Nachsitzen. »Heute ist Ihr Glückstag, Dirk.«
    »Oh, ich dachte schon, es … nun gut.« Er konnte seine Enttäuschung kaum verbergen. Er wollte Tess völlig aus der Bahn werfen, wollte ihre Stimme vor Schreck zittern hören.
    Als er weitersprach, klang er jedoch so schroff und herrisch, als wäre er drauf und dran, seine Truppen auf das Schlachtfeld zu führen. »Ich will, dass Sie alles, was mit dem Hustenstopper zu tun hat, aufhalten, ja? Alles. Verstanden?«
    »Verstanden. Alles, was mit dem Hustenstopper zu tun hat, aufhalten.«
    »Ich melde mich dann wieder.«
    Er legte auf. An der Farbe gab es nichts auszusetzen. Dirk würde morgen wieder anrufen und sagen, dass sie in Ordnung sei. Er wollte nur einen auf dicken Max machen. Wahrscheinlich hatte ihm einer dieser jungen Aufsteiger gerade in einer Sitzung das Gefühl gegeben, nichts mehr zu sagen zu haben.
    »Die Hustenstopper-Schachteln sind doch heute in Druck gegangen.« Felicity drehte sich auf ihrem Stuhl zu Tess um und sah sie besorgt an.
    »Ja, alles in Ordnung«, sagte Tess.
    »Aber wenn er es sich anders überlegt …« Will brach ab.
    »Ich sagte , alles in Ordnung.«
    Sie war nicht wirklich sauer. Doch sie spürte, dass der Zorn sie packen könnte, ein Zorn, der schlimmer war als alles, was sie je erlebt hatte, ein gewaltiger Zorn, der in ihr schwelte und sich wie ein Feuerball spontan entladen und alles rundum zerstören könnte.
    Tess setzte sich nicht wieder an den Tisch. Stattdessen blieb sie stehen, drehte sich um und warf einen prüfenden Blick auf das Whitebord, wo sie alle aktuellen Projekte verzeichnet hatten:
    Hustenstopper-Verpackung!
    Feathermart Presseanzeige!
    Bedstuff-Webseite! :-)
    Es war erniedrigend, ihre eigene krakelige, leichtfertig dahingeworfene und selbstbewusste Handschrift mit den schnoddrigen Ausrufezeichen zu sehen … und das Smiley neben der Bedstuff-Webseite, denn sie hatten sich mächtig ins Zeug gelegt, um diesen Auftrag zu bekommen und sich gegen größere Firmen durchzusetzen, jawohl! Mit Erfolg. Den Smiley hatte sie erst gestern gemalt, als sie von dem süßen Geheimnis, das Will und Felicity teilten, noch nichts gewusst hatte. Ob sie hinter ihrem Rücken wohl reuige Blicke ausgetauscht hatten, als sie den Smiley gemalt hatte? So ein Smiley-Gesicht wird sie wohl kaum aufsetzen, wenn wir ihr unser kleines Geheimnis beichten, nicht wahr?!
    Das Telefon klingelte schon wieder.
    Diesmal ließ Tess es läuten, bis sich der Anrufbeantworter einschaltete: TWF -Werbeagentur. Die Anfangsbuchstaben ihrer drei Namen waren darin eng verschlungen und bildeten das Logo für ihren kleinen gemeinsamen Geschäftstraum. Wie oft hatten sie das Was-wäre-wenn diskutiert und sich gefragt, was wäre, wenn sie ihre Idee erfolgreich umsetzen würden! Und es war ihnen in der Tat gelungen.
    Vorletzte Weihnachten waren sie zusammen in Sydney gewesen, um das Fest traditionsgemäß daheim bei Felicitys Eltern zu verbringen. Bei Tess’ Tante Mary und Onkel Phil. Damals war Felicity noch dick gewesen. Hübsch, rosafarben schillernd in einem Kleid der Größe 48/50. Es gab die üblichen Grillwürstchen, den üblichen cremigen Nudelsalat, den üblichen Baiserkuchen. Felicity und Will hatten die ganze Zeit über ihre Jobs gejammert. Inkompetentes Management. Unfähige Kollegen. Zugige Büros. Und so weiter und so fort.
    »Oje, oje, ihr seid die Allerärmsten«, sagte Onkel Phil, der nichts mehr zu jammern hatte, nun, da er Rentner war.
    »Wieso macht ihr nicht zusammen eine eigene Firma auf?«, fragte Tess’ Mutter.
    Ja, wieso eigentlich nicht? Schließlich arbeiteten sie doch alle in einem ähnlichen Bereich. Tess war Managerin für Marketingkommunikation in einem bornierten juristischen Verlag, Will Kreativdirektor in einer großen, renommierten und extrem selbstgefälligen Werbeagentur. (Dort hatten Tess und er sich kennengelernt. Tess war Wills Kundin gewesen.) Felicity war Grafikdesignerin und arbeitete

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