Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
Vom Netzwerk:
des Freundeskreises der St.-Angela-Schule. Überdies war sie die elftbeste Tupperware-Beraterin von ganz Australien. Ihre Schwester fand beides zu komisch.
    »Ich regiere den Fitzpatrick’schen Haushalt nicht«, sagte Cecilia.
    »Natürlich nicht.« Bridget lachte schallend.
    Aber es stimmte. Wenn Cecilia sterben würde, dann würde der Fitzpatrick’sche Haushalt schlicht … Nun ja, nicht auszudenken, was dann passieren würde. John-Paul bräuchte mehr als nur einen Brief von ihr. Er bräuchte ein ganzes Handbuch, einschließlich eines Stockwerksplans des Hauses, auf dem genau verzeichnet war, wo die Schmutzwäsche hingehörte und wo der Wäscheschrank stand.
    Das Telefon klingelte. Sie nahm ab.
    »Lass mich raten. Unsere Töchter sitzen vor dem Fernseher und sehen den Dickbäuchen beim Abnehmen zu, stimmt’s?« Es war John-Paul. Sie mochte seine Stimme am Telefon, die tief, warm und beruhigend war. Ihr Gatte war zwar ein hoffnungsloser Fall, verlor ständig irgendwelche Dinge, war immer spät dran, oh ja, aber auf seine Frau und seine Töchter gab er nach altväterlicher, verantwortungsvoller Weise acht, nach dem Motto »Ich-bin-hier-der-Mann-im-Haus-und-es-ist-meine-Aufgabe«. Bridget hatte recht. Cecilia regierte ihre Welt, doch sie wusste immer, dass John-Paul im Falle einer Katastrophe (wenn ein Amokläufer sie bedrohte, eine Überschwemmung oder ein Feuer) zur Stelle sein würde, um das Leben seiner Lieben zu retten. Er würde sich in die Schusslinie werfen, ein Floß zimmern und sie sicher durch das tosende Inferno geleiten. Und sobald er das erledigt hätte, würde er das Ruder wieder an Cecilia geben, seine Hosentaschen abklopfen und fragen: »Hat jemand meinen Geldbeutel gesehen?«
    Als sie hatte mitansehen müssen, wie der kleine Spiderman ums Leben gekommen war, hatte sie als Allererstes John-Paul angerufen.
    »Ich habe den Brief gefunden«, sagte Cecilia jetzt und strich dabei mit den Fingerspitzen über die handgeschriebenen Buchstaben auf dem Umschlag. Kaum hatte sie John-Pauls Stimme vernommen, war ihr klar, dass sie ihn auf der Stelle darauf ansprechen würde. Sie waren immerhin seit fünfzehn Jahren verheiratet und hatten nie Geheimnisse voreinander gehabt.
    »Welchen Brief?«
    »Einen Brief von dir.« Sie versuchte, locker zu klingen, witzig, um die ganze Sache runterzuspielen, um ihr keine besondere Bedeutung beizumessen, was auch immer in diesem Brief stehen mochte. »Er ist an mich adressiert und nur im Falle deines Todes zu öffnen.« Es war ihr unmöglich, die Worte »im Falle deines Todes« auszusprechen, ohne dabei befremdlich zu klingen.
    Stille in der Leitung. Einen Moment lang glaubte Cecilia, die Verbindung wäre abgebrochen, aber im Hintergrund konnte sie leises Gemurmel und Geklapper hören. Offenbar rief er von einem Lokal aus an.
    Ihr Magen zog sich zusammen.
    »John-Paul?«

2
    »Wenn das ein Witz sein soll«, sagte Tess, »dann ist er nicht lustig.«
    Will legte seine Hand auf ihren Arm. Felicity legte ihre Hand auf ihren anderen Arm – wie Buchstützen, die sie zusammenhielten.
    »Das tut uns so sehr, sehr leid«, sagte Felicity.
    »So leid«, fiel Will sofort ein, als würden die beiden im Duett singen.
    Sie saßen an dem großen, runden Holztisch, den sie für Kundengespräche nutzten, hauptsächlich aber um Pizza zu essen. Wills Gesicht war leichenblass. Tess konnte darin jedes kleinste, schwarze Haar seiner Bartstoppeln randscharf erkennen, die wie Miniaturgräser kreuz und quer auf der erschreckend weißen Haut sprossen. Und Felicity hatte drei tiefrote Flecken am Hals.
    Für einen Moment war Tess von diesen drei Flecken gebannt, so als enthielten sie die Antwort. Sie sahen aus wie Fingerabdrücke auf dem schmalen Hals. Schließlich schaute Tess auf und bemerkte, dass Felicitys Augen, diese sagenhaft wunderschönen mandelförmigen grünen Augen ( so ein dickes Mädchen und so wunderschöne Augen!) , rot und wässrig waren.
    »Diese Erkenntnis … Diese Erkenntnis, dass ihr beide …« Tess stockte und schluckte.
    »Wir wollen, dass du weißt, dass eigentlich gar nichts passiert ist«, fiel Felicity ihr ins Wort.
    »Wir haben nicht … du weißt schon«, sagte Will.
    »Ihr habt nicht miteinander geschlafen.« Tess sah, dass beide stolz darauf waren und beinahe erwarteten, dass Tess sie dafür loben sollte.
    »Absolut nicht«, bekräftigte Will.
    »Aber ihr wollt es«, sagte Tess. Sie musste fast lachen, so absurd erschien ihr dieser Gedanke. »Das erzählt ihr mir

Weitere Kostenlose Bücher