Die Wahrheit eines Augenblicks
hüten. Cecilia Fitzpatrick, die immer freiwillig an vorderster Stelle war, die nie still sitzen konnte, wenn es irgendetwas zu erledigen gab, die stets ihre Zeit für andere opferte, zu allen möglichen Ereignissen Aufläufe und Kuchen mitbrachte, die Richtig von Falsch zu unterscheiden wusste – sie, Cecilia Fitzpatrick, war nun bereit wegzuschauen. Sie konnte und würde es zulassen, dass eine andere Mutter leiden musste.
Ihre Güte, ihre Herzensgüte, hatte Grenzen. Sie hätte ihr Leben locker weiterleben können wie bisher, ohne diese Grenzen zu erfahren. Aber nun wusste sie genau, wo sie sich befanden.
47
»Sei nicht so knauserig mit der Butter!«, rief Lucy. »Warme Karfreitagsbrötchen müssen vor lauter Butter nur so triefen. Habe ich dir denn gar nichts beigebracht?«
»Schon mal was von Cholesterin gehört?«, sagte Tess, gehorchte aber und nahm das Buttermesser wieder in die Hand. Sie saß mit ihrer Mutter und Liam in der Morgensonne im Garten bei Tee und Karfreitagsbrötchen vom Toaster. Ihre Mutter trug ihren rosafarbenen, gesteppten Morgenmantel über ihrem Nachthemd, und auch Tess und Liam hatten noch ihre Schlafanzüge an.
Der Karfreitag hatte passend begonnen – grau in grau –, es sich dann aber anders überlegt und sich in ein leuchtend buntes Herbstkleid gehüllt. Eine frische Brise wehte, und die Sonne schickte ihre Strahlen durch die roten Blätter des Feuerbaums im Garten.
»Mum?« Liam sprach mit vollem Mund.
»Mmm?«, antwortete Tess. Sie hielt ihr Gesicht mit geschlossenen Augen in die Sonne. Tess fühlte sich entspannt und schläfrig. Vergangene Nacht, als sie nach dem Motorradausflug zurück in Connors Wohnung gewesen waren, hatten sie wieder miteinander geschlafen. Und es war noch geiler gewesen als in der Nacht zuvor. Er besaß gewisse Fähigkeiten, die wirklich ganz … hervorragend waren. Ob er vielleicht ein Buch darüber gelesen hatte? Will hatte dieses Buch bestimmt nie gelesen. Es war seltsam, wie der Sex vergangene Woche noch nichts weiter als ein angenehmer Zeitvertreib gewesen war, über den sie nie wirklich nachgedacht hatte. Und heute, eine Woche später, nahm er alles ein, als wäre er das Einzige, was im Leben zählt, als wären alle Momente zwischen diesen sexuellen Erlebnissen völlig bedeutungslos, nicht wirklich mit Leben erfüllt.
Sie hatte das Gefühl, als verfiele sie Connor langsam, seiner markant geschwungenen Oberlippe, seinen breiten Schultern, seinen …«
»Mum!«, rief Liam wieder.
»Ja.«
»Wann …«
»Mach erst deinen Mund leer.«
»Wann kommen Daddy und Felicity? An Ostern?«
Tess schlug die Augen auf, warf einen kurzen Blick auf ihre Mutter und hob eine Augenbraue.
»Ich bin nicht sicher, Schatz«, sagte sie. »Ich muss noch mit ihnen sprechen. Vielleicht müssen sie auch arbeiten.«
»An Ostern doch nicht! Ich will sehen, wie Daddy meinen Osterhasen köpft.«
Aus irgendeinem Grund hatten sie die alte und etwas brutale Tradition aufgenommen, den Ostersonntag damit zu beginnen, den Schokoladenosterhasen zu köpfen. Will und Liam konnten sich darüber kranklachen, wenn der arme Osterhase am Ende völlig massakriert war.
»Gut«, meinte Tess. Sie hatte keine Ahnung, wie Ostern ablaufen sollte. Sollten sie Liam zuliebe einen auf glückliche Familie machen? Aber sie wären keine guten Schauspieler. Er würde das Spiel ganz schnell durchschauen. Nein, das konnte niemand von ihr verlangen.
Es sei denn, sie lud Connor ein. Sie würde sich auf seinen Schoß setzen wie ein Schulmädchen, um ihrem Exmann unter die Nase zu reiben, dass sie sich sogleich den heißesten Typen mit den stärksten Muckis der ganzen Schule geangelt hatte. Sie könnte Connor bitten, unter lautem Dröhnen auf seinem tollen Motorrad vorzufahren. Er könnte Liams Schokoladenosterhasen ebenso gut köpfen. Und Will gleich mit dazu.
»Wir rufen Daddy später an, Liam«, sagte sie. Ihr entspanntes Gefühl war dahin.
»Nein, jetzt!« Er stürmte ins Haus.
»Nein!«, protestierte Tess, doch Liam war auf und davon.
»Du liebe Güte«, seufzte ihre Mutter und legte ihr Karfreitagsbrötchen aus der Hand.
»Ich weiß nicht, was ich machen soll«, gestand Tess. Doch da war Liam schon zurück, hatte ihr Handy dabei und streckte es ihr entgegen. Es piepte, als er es ihr reichte – eine SMS kam herein.
»Eine SMS von Daddy?«, fragte Liam.
Panikartig nahm sie ihm das Handy aus der Hand. »Nein. Ich glaube nicht. Lass mal sehen!«
Die SMS war von Connor. Denk an dich –
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