Die Wahrheit eines Augenblicks
knapp. Sich um die Finanzen zu kümmern war von jeher ihre Aufgabe gewesen. Und John-Paul war immer froh gewesen, sich nicht mit dem ganzen Rechnungs- und Hypothekenkram abgeben zu müssen.
»Meinst du wirklich?« Er klang skeptisch. Die Fitzpatricks waren relativ wohlhabend. John-Paul war in einem Elternhaus aufgewachsen, in dem selbstverständlich erwartet wurde, dass man finanziell besser dastand als die meisten anderen Leute, die man kannte. Geld, das war immer etwas gewesen, das er auf sich bezog, etwas, das er in die Familie brachte. Cecilia hatte ihn nicht absichtlich im Unklaren darüber gelassen, wie viel sie selbst über die letzten Jahre verdient hatte; sie hatte es nur nie erwähnt.
»Ich habe mir überlegt, dass wir einen der Jungs von Peters Sanitär-Betrieb für kleinere Arbeiten engagieren könnten, wenn ich nicht da bin. Beispielsweise, um die Regenrinnen frei zu halten. Das ist wirklich wichtig. Das darfst du nicht vernachlässigen, Cecilia. Vor allem nicht in der Buschfeuer-Saison. Ich muss eine Liste erstellen. Damit ich nichts vergesse.«
Sie lag still da. Ihr Herz pochte. Wie konnte das sein? Es war absurd. Unmöglich. Lagen sie wirklich hier im Bett und unterhielten sich darüber, dass John-Paul ins Gefängnis gehen würde?
»Eigentlich wollte ich derjenige sein, der den Mädchen das Autofahren beibringt«, sagte er. Seine Stimme brach ab. »Sie müssen doch lernen, wie man auf nassen Straßen fährt. Du weißt doch gar nicht, wie man richtig bremst, wenn die Straßen nass sind.«
»Klar, weiß ich das«, protestierte Cecilia.
Sie drehte sich zu ihm um und sah ihn an. Er schluchzte. Sein Gesicht war eine zerknautschte, hässlich graue, stoppelige Furchenlandschaft. Er drehte den Kopf, um es im Kissen zu vergraben, als wollte er seine Tränen vor ihr verbergen. »Ich weiß, ich habe kein Recht … zu weinen. Ich kann mir nur nicht vorstellen, meine Mädchen nicht mehr jeden Morgen zu sehen.«
Rachel Crowley wird ihre Tochter auch nie wiedersehen .
Sie schaffte es nicht, ihr Herz gegen seine Verzweiflung zu verschließen. Was sie an ihm am meisten liebte, war der Teil in seinem Herzen, der in Liebe für seine Töchter schlug. Die Kinder hatten sie in einer Weise zusammengeschweißt, wie andere Paare es nicht unbedingt erlebten. Sich all die kleinen, alltäglichen Geschichten zu erzählen – gemeinsam darüber zu lachen, sich gemeinsam über die Zukunft ihrer Kinder Gedanken zu machen – war eine der größten Freuden ihrer Ehe. Sie hatte John-Paul geheiratet, weil sie in ihm den Vater ihrer Kinder gesehen hatte, der er eines Tages sein würde.
»Was werden sie von mir denken?« Er drückte eine Hand auf sein Gesicht. »Sie werden mich hassen.«
»Schon gut«, sagte Cecilia. Es war unerträglich. »Es wird alles gut. Nichts wird passieren. Nichts wird sich ändern.«
»Ich weiß nicht. Jetzt, da ich es ausgesprochen habe, jetzt, da du es weißt, nach all den Jahren, fühlt es sich so real an, viel realer als je zuvor. Es war genau heute, weißt du das?« Er wischte sich mit dem Handrücken über die Nase und sah sie an. »Heute. Heute ist der Tag. Der Tag, an dem ich es getan habe. Jedes Jahr denke ich daran. Ich hasse diese Jahreszeit. Doch in diesem Jahr ist es grausamer denn je. Ich kann nicht glauben, dass ich das getan habe. Ich kann nicht glauben, dass ich anderen Menschen die Tochter genommen habe. Und heute müssen meine Mädchen, meine Mädchen … meine Mädchen dafür bezahlen.«
Die zerknirschte Reue schüttelte seinen ganzen Körper wie unter schlimmsten Schmerzen. Cecilias erster Impuls war, seinen Schmerz zu lindern. Ihn zu retten, ihm den Schmerz irgendwie zu nehmen. Sie zog ihn an sich wie ein Kind und wisperte leise tröstende Worte. »Schschsch. Es wird alles gut. Alles wird gut. Es kann nach all den Jahren gar keinen neuen Beweis geben. Rachel muss sich irren. Komm! Atme tief durch!«
Er grub sein Gesicht in ihre Schulter, die sogleich ganz nass wurde von seinen Tränen.
»Alles wird gut«, sagte sie noch einmal, wohl wissend, dass es möglicherweise auch anders kommen könnte. Doch während sie ihm über die grauen Haare strich, wurde ihr mit einem Mal klar, was sie wollte.
Sie wollte auf gar keinen Fall, dass er ein Geständnis ablegte.
Es schien, als wären ihr Brechanfall über dem Rinnstein und ihr Weinkrampf in der Vorratskammer eine private Übung gewesen. Denn solange niemand unter Anklage stand, würde sie, Cecilia Fitzpatrick, sein Geheimnis
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