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Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
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Würden die Fitzpatricks der Polizei dann von ihrem eigenen Geständnis erzählen? Würde man sie wegen versuchten Mordes verhaften? Sie konnte von Glück sagen, dass sie Polly nicht totgefahren hatte. War ihr Fuß auf dem Gaspedal eine ebenso große Sünde wie seine Hände um Janies Hals? Aber was Polly passiert war, war ein Unfall. Jeder wusste das. Das Mädchen war mit dem Fahrrad direkt vor ihr Auto gefahren. Es hätte Connor Whitby erwischen müssen. Was, wenn Connor heute Abend tot gewesen wäre? Wenn seine Familie heute Abend eben jenen Anruf erhalten hätte, der dafür sorgte, dass es einen für den Rest des Lebens jedes Mal kalt überlief vor Angst, wenn das Telefon klingelte oder die Türglocke ging?
    Connor lebte. Polly lebte. Janie war die Einzige, die tot war.
    Was, wenn Janies Mörder weitere Menschen auf dem Gewissen hatte? Sie musste an sein Gesicht im Krankenhaus denken, bevor sie die Wahrheit gekannt hatte, bevor sie gewusst hatte, wer er wirklich war. Sein Gesicht, das vor Sorge um seine schwer verletzte Tochter tief gezeichnet gewesen war.
    »Sie hat mich ausgelacht, Mrs. Crowley.« Sie hat dich ausgelacht ? Du blöder, egoistischer kleiner Dreckskerl! War dir das Grund genug, sie zu töten? Ihr das Leben zu nehmen? Ihr all die Tage zu nehmen, die sie noch hätte erleben können? Ihren Abschluss, den sie nie erhielt? Die Länder, die sie niemals bereiste? Den Mann, den sie nie heiratete? Die Kinder, die sie nie bekam? Rachel zitterte derart, dass sie ihre Zähne klappern hörte.
    Sie stand auf, ging zum Telefon, hob den Hörer ab und hielt die Finger über den Tasten. Da wurde plötzlich eine Erinnerung wach. Sie hatte Janie einmal beigebracht, wie man in einem Notfall die Polizei verständigte. Damals hatten sie noch das alte grüne Telefon mit der Wählscheibe gehabt. Sie ließ Janie üben, die Notrufnummern zu wählen, und legte dann wieder auf, bevor es tatsächlich klingelte. Janie wollte so ein Szenario unbedingt einmal ganz durchspielen. Rob musste sich auf den Küchenboden legen, während sie wie wild in das Telefon schrie: »Ich brauch einen Krankenwagen! Mein Bruder atmet nicht mehr!« Dann drehte sie sich zu Rob um. »Hör auf zu atmen«, befahl sie ihm. »Rob, ich sehe, wie du atmest.« Rob wurde beinahe ohnmächtig, so sehr strengte er sich an, ihr Spiel mitzumachen.
    Die kleine Polly Fitzpatrick würde nun ohne ihre rechte Hand leben müssen. War sie Rechtshänderin? Wahrscheinlich. Die meisten Menschen waren Rechtshänder. Janie war Linkshänderin gewesen. Eine der Nonnen in der Schule hatte einmal versucht, sie zur Rechtshänderin umzuerziehen, woraufhin Ed stracks in die Schule marschiert war: »Schwester, bei allem Respekt, wer, glauben Sie, hat sie zu einer Linkshänderin gemacht? Gott war das. Also lassen Sie das gefälligst so!«
    Rachel drückte eine Telefontaste.
    »Hallo?« Die Antwort kam schneller als erwartet.
    »Lauren?«
    »Rachel. Rob kommt gerade aus der Dusche«, sagte Lauren. »Ist alles in Ordnung?«
    »Ich weiß, es ist schon spät.« Sie hatte nicht einmal auf die Uhr gesehen. »Und ich will mich auch nicht aufdrängen nach allem, was ihr gestern für mich getan habt. Aber könnte ich vielleicht zu euch kommen und bei euch übernachten? Nur dieses eine Mal. Aus irgendeinem Grund, ich weiß gar nicht, warum, fühle ich mich heute nicht in der Lage …«
    » Natürlich «, antwortete Lauren. Und schon hörte Rachel sie schreien: »Rob!« Aus dem Hintergrund war seine tiefe, brummelige Stimme zu hören, und Lauren sagte: »Geh und hol deine Mutter ab!«
    Der arme, liebe Rob! Steht unter ihrer Fuchtel. So zumindest hätte Ed es ausgedrückt.
    »Nein, nein«, erwiderte Rachel. »Er ist gerade aus der Dusche gekommen. Ich fahre selbst.«
    »Auf gar keinen Fall! Er ist schon auf dem Weg. Ich richte derweil das Schlafsofa her. Es ist erstaunlich bequem! Jacob wird sich freuen, dich morgen früh zu sehen. Er wird strahlen.«
    »Danke«, sagte Rachel. Mit einem Mal fühlte sie sich warm und schläfrig, als hätte jemand sie zugedeckt. »Lauren? Du hast nicht noch zufällig ein paar von diesen Makronen da, oder? Von denen, die du mir am Montagabend mitgebracht hast? Die waren himmlisch. Absolut himmlisch.«
    Ganz kurz war es still in der Leitung. »Doch, ich habe tatsächlich noch welche da.« In Laurens Stimme lag ein Zittern. »Und dazu machen wir uns eine schöne Tasse Tee.«

57
    Ostersonntag
    Tess wachte auf. Draußen prasselte der Regen gegen die Scheibe. Es war

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