Die Wahrheit eines Augenblicks
John-Paul schob ihre Hand weg und brummelte: »Zu müde. Lass mich in Ruhe, besoffenes Weib.« Sie lachte und schlief ein, war nicht einmal beleidigt. Das nächste Mal, wenn er Lust hätte, würde sie sich mit einer flapsigen Bemerkung wie »Aha, jetzt willst du « revanchieren. Doch die Gelegenheit dazu bekam sie nie. Von da an dämmerte ihr langsam, dass die Tage dahingingen und im Bett tote Hose herrschte. Was war los?
Das letzte Mal, dass sie Sex gehabt hatten, lag inzwischen, so rechnete sie sich aus, ungefähr sechs Monate zurück, und je mehr Zeit verstrich, desto verwirrender fand sie es. Doch jedes Mal wenn sie anhob, John-Paul darauf anzusprechen, war sie wie blockiert. Sex war nie ein Streitthema in ihrer Beziehung gewesen, so wie sie das von vielen anderen Paaren wusste, die sie kannte. Cecilia benutzte ihn niemals als strategische Waffe oder Druckmittel. Sex, das war etwas Unausgesprochenes, etwas Natürliches, etwas Schönes. Und das wollte sie nicht kaputt machen.
Vielleicht scheute sie seine Antwort.
Oder, schlimmer noch, keine Antwort. Im vergangenen Jahr hatte John-Paul mit dem Rudersport angefangen. Er hatte es geliebt, war jeden Sonntag begeistert nach Hause gekommen und hatte von seinem neuen Hobby geschwärmt. Doch dann hatte er überraschend und ihr völlig unverständlich die Mannschaft verlassen. »Ich will nicht darüber reden«, hatte er gesagt, als sie immer wieder nachhakte, um den Grund herauszufinden. »Lass es gut sein.«
John-Paul konnte manchmal richtig komisch sein.
Aber waren nicht alle Männer hin und wieder komisch? Sie verwarf den Gedanken.
So lange waren sechs Monate nun auch wieder nicht! Nicht für ein verheiratetes Paar im mittleren Alter. Penny Maroni hatte erzählt, sie und ihr Mann schliefen einmal im Jahr miteinander, wenn es hoch käme.
Vor Kurzem jedoch hatte sich Cecilia wie ein Teenager gefühlt, hatte unentwegt an Sex gedacht, und leicht pornografische Bilder waren ihr durch den Kopf gehuscht, als sie mit den anderen Eltern am Schultor stand, den Kindern auf dem Sportplatz zusah und an ein Hotel in Canberra dachte, wo John-Paul sie an den Händen gefesselt hatte mit dem blauen Plastikband, das ihr Physiotherapeut ihr gegeben hatte, um damit ihren Knöchel zu trainieren.
Das blaue Band hatten sie im Hotelzimmer liegen gelassen.
Und Cecilias Knöchel knackte bei bestimmten Bewegungen noch immer.
Wie kam Pater Joe nur mit dem Zölibat klar? Sie, als vierzigjährige Frau und ausgelaugte Mutter von drei Töchtern, die ihrer Menopause entgegensah, hatte Sex dringend nötig. Und Pater Joe? Ihm, einem gesunden, attraktiven, jungen Mann, musste sein zölibatäres Dasein doch ungemein schwerfallen.
Ob er masturbierte? Durften katholische Priester das überhaupt, oder war das innerhalb des Zölibats nicht vorgesehen?
Aber halt. Gilt Masturbation nicht generell als Sünde? Ihre nicht katholischen Freunde würden erwarten, dass sie die Antwort auf diese Frage wusste. Sie hielten sie für eine wandelnde Bibel.
Und wenn sie es recht überlegte, war sie gar nicht mehr so sicher, ob sie überhaupt noch eine so begeisterte Anhängerin des lieben Gottes war. Irgendwie schien er schon länger nur noch Mist zu bauen. Tag für Tag ließ er es zu, dass Kindern überall auf der Welt schreckliche Dinge widerfuhren. Das war unentschuldbar.
Kindern wie dem kleinen Spiderman .
Sie schloss die Augen und blinzelte das Bild weg.
Es kümmerte sie nicht, was kluge Schriften über den freien Willen oder über Gottes verschlungene Wege sagten. Dieses ganze Blabla! Wenn Gott einen Vorgesetzten hätte, hätte sie ihm vor langer Zeit schon einen ihrer berühmten Beschwerdebriefe geschickt: Als Kunden habt ihr mich verloren .
Sie betrachtete Pater Joes ernstes, pfirsichglattes Gesicht. Einmal hatte er ihr gesagt, dass er es »wirklich interessant« finde, wenn »Menschen ihren Glauben infrage stellen«. Ihre eigenen Zweifel fand sie allerdings nicht so bedeutend. Cecilia glaubte fest an das Patronat St. Angela mit allem, was dazugehörte: die Schule, die Pfarrei, die Gemeinde. Sie glaubte an den schönen, moralischen Kodex »Liebet einander«, nach dem sie ihr Leben gern richten wollte. Und sie glaubte an die Sakramente, diese wunderschönen, zeitlosen Riten. Die Katholische Kirche war das Team, für das sie jederzeit als Cheerleaderin angetreten wäre. Und was Gott selbst betraf – ob er existierte oder nicht (oder sie , was ihr wahrscheinlicher schien!) … nun ja, vielleicht
Weitere Kostenlose Bücher