Die Wahrheit hat nur ein Gesicht (German Edition)
fingen an zu tuscheln und Emma sah erschrocken nach vorn. Was war da los? Hatte ihr Cindy nicht erzählt, dass sie nächste Woche am Royal Opera House die Lucia singen würde? Mit dieser Stimme würde man sie noch nicht mal im Musical besetzen.
»Stopp!« Amanda Tellingtons Stimme durchschnitt den Raum. Alle sahen zur Tür.
Da stand die alte Tellington, gestützt auf einen Stock und starrte grimmig nach vorn. Alex musste unwillkürlich grinsen. Amanda war doch tatsächlich angereist, um Cindy vor einer Katastrophe zu schützen. Sie war schon eine tolle Frau und ihre Schüler lagen ihr am Herzen. Auch die widerspenstige Cindy, das wusste Alex. Amanda hatte zwar gedroht, sie fallen zu lassen, aber Alex kannte ihr gutes Herz und wusste, dass es bis dahin noch ein weiter Weg war. Und jetzt stand sie hier im Raum und beendete für ihre Schülerin das Konzert.
Sie ging nach vorn und wendete sich an das Publikum:
»Meine Damen und Herren, Cindy ist leider heute Abend nicht mehr in der Lage weiter zu singen. Sie hat es versucht, nicht wahr Cindy, denn für ihren Vater wollte sie unbedingt durchhalten, aber wie man hören kann, geht es einfach nicht mehr. Cindy, ich weiß, dass du nur das Beste willst, aber das kannst du heute Abend nicht geben. Sei vernünftig und schone deine Stimme.«
Amanda versuchte es auf einer versöhnlichen Ebene und Cindy wusste, dass sie Recht hatte. Insgeheim war sie sogar froh, dass es vorbei war. Doch das hätte sie nie zugegeben. Ihr Stolz war auf das empfindlichste verletzt und sie revanchierte sich reflexartig und ohne nachzudenken.
»Tja, Mrs. Tellington…« Cindy wandte sich mit einem bösen Lächeln zu ihr. »Sie sind meine Lehrerin und ich weiß, Sie geben Ihr Bestes, aber das reicht eben einfach nicht aus. Ihre Übungen haben mich dahin gebracht, dass heute meine Stimme versagt. Es tut mir leid, Mrs. Tellington, aber ich werde mir für die Zukunft einen neuen Lehrer suchen müssen.«
Damit stieg sie von der Bühne, würdigte Amanda weiter keines Blickes und ging zur Tür. Die alte Dame stand da und schnappte nach Luft. So war sie noch nie von einer Schülerin behandelt worden, vor allem nicht in der Öffentlichkeit. Die schlagfertige Amanda Tellington wusste nicht mehr, was sie sagen sollte. Cindy hatte sie zutiefst gedemütigt.
In der Tür drehte sich Cindy noch einmal um: »Ja, das war es dann wohl. Das Konzert ist vorbei!«
»Nein! Das Konzert ist nicht vorbei!« Antonio war aufgesprungen. Er würde sich den Abend von Cindy nicht kaputtmachen lassen.
Cindy war stehen geblieben. »Antonio, ich kann nicht mehr singen, lass es bitte gut sein, ja?«
»Aber du musst ja auch gar nicht singen. Meine Damen und Herren, in diesem Raum befindet sich eine Person, die Cindys Platz einnehmen kann!«
Emma zog es den Magen zusammen. Was redete er da?
»Eine Person, die mir persönlich sehr am Herzen liegt, und mit der ich jetzt leidenschaftlich gerne singen würde. Meine Damen und Herren, begrüßen Sie mit mir meine Frau Emma!«
Das Publikum war den dramatischen Ereignissen bis dahin gespannt gefolgt. Cindys Stimmversagen und Amandas Auftritt würden viele Wochen lang für Gesprächsstoff sorgen. Und jetzt noch ein Konzert mit einer unbekannten Sängerin, die der berühmte Tenor erst heute geheiratet hatte? Dass seine Frau reiten konnte, hatte sie am Morgen bewiesen. Dass sie auch singen konnte, war eine Überraschung. Der Abend erhielt plötzlich einen sehr großen Unterhaltungswert. Würde Medicis Frau tatsächlich den Ansprüchen genügen? Das Publikum wollte sich den Spaß nicht entgehen lassen und applaudierte begeistert zu Antonios Vorschlag.
»Emma, mein Engel«, Antonio streckte ihr die Hand entgegen, »würdest du bitte zu mir auf die Bühne kommen?!«
Alle Blicke waren jetzt auf Emma gerichtet. Sie stand zögernd auf.
»Antonio, ich kann das nicht!« Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern und sie zitterte am ganzen Körper.
»Natürlich kannst du das! Du singst das gleiche Repertoire wie Cindy! Also stell dich jetzt bitte nicht so an!« Antonio wurde langsam wütend. Emma sollte gefälligst das tun, was er ihr sagte.
Emmas Stimme war jetzt nur noch ein Flehen. »Antonio, bitte! Ich kann nicht!
»Doch du kannst!« Alex stand plötzlich auf und trat neben Antonio. Überrascht sah sie ihn an. Sein Blick war warm und fest. Und dann wurde sie plötzlich ganz ruhig. Er strahlte eine solche Zuversicht und Zärtlichkeit aus, eine Wärme, die sie einhüllte und beruhigte. Im
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