Die Wahrheit hat nur ein Gesicht (German Edition)
Saal war es wieder ganz still geworden.
»Komm!«
Wie Antonio hielt er ihr seine Hand entgegen. Nur war seine Geste nicht fordernd, sondern liebevoll. Und Emma folgte ihm. Wie in Trance ging sie nach vorn und trat zu ihm auf die Bühne. Er nahm ihre Hand und sah ihr tief in die Augen. Für die anderen unhörbar sagte er: »Du kannst singen, Emma. Und ich helfe dir dabei. Vertraust du mir?«
Ihre Hand lag fest in der seinen und ein warmer Strom glitt durch ihren Körper. Emma fühlte, wie sie sicherer wurde. Sie nickte.
»Gut.« Alex setzte sich an den Flügel und Emma trat zu ihm ans Klavier. Er sah sie an. »Arie Antiche?« Emma nickte. »Gut.« Alex fing an zu spielen.
Und dann geschah das Wunder. Emma sang mühelos. Sie sang, als hätte sie noch nie etwas anderes getan, als vor dem gesamten englischen Hochadel zu singen. Sie sang mit einer Sicherheit, mit der sie noch nie gesungen hatte. Sie sang für Alex. Die Musik verwandelte ihr Leid in berührende Klänge und jedes Wort, jeder Ton, den Emma sang, sprach von der Liebe, die sie für Alex empfand. Und auch Alex befreite sich von seinem Schmerz. Die beiden vergaßen Zeit und Raum und die Musik schenkte ihnen nach Jahren der Sehnsucht die ersehnte Verschmelzung.
Emma sang zuerst alle Lieder aus Arie Antiche und dann alle Arien, die Cindy auch hätte singen sollen. Mit Ausnahme der Duette. Alex steuerte Emma durch das gesamte Programm, aber er hielt Antonio draußen. Auf keinen Fall durfte dieser Kerl das Wunder stören.
Doch Antonio war so geplättet von seiner Frau, dass er völlig vergaß, dass er auch hatte singen wollen. Als er es dann merkte, war es zu spät. Der letzte Ton verklang. Alex ließ die Hände sinken, das Konzert war vorbei.
Das Publikum raste. Auch der letzte Klassikmuffel hatte inzwischen gemerkt, dass hier etwas Ungewöhnliches geschehen geschah. Ein neuer Star am Opernhimmel war geboren und sie waren bei der Geburt dabei. Der Applaus nahm kein Ende und immer wieder musste sich Emma verbeugen.
Alex hielt sich im Hintergrund, doch Emma nahm seine Hand und zog ihn nach vorn. Gemeinsam verbeugten sie sich und dann konnte Alex sich plötzlich nicht mehr beherrschen. Er zog Emma an sich und umarmte sie. Ganz fest hielt er sie umschlungen und Emma hielt ganz still. Das Publikum stand geschlossen auf und reagierte mit rhythmischem Klatschen. Die Menschen waren ergriffen. Alle im Saal hätten Emma gerne auf die gleiche Weise umarmt.
Mit Ausnahme von zwei Personen:
Cindy hielt Emmas Triumph keine Sekunde länger aus. Ihr Gesang, ihr ganzer Auftritt, ihre zauberhafte Erscheinung und jetzt ihr Erfolg. Es war zu viel für Cindy. Tränen der Wut standen ihr in den Augen, als sie aus dem Saal flüchtete. Ihr Vater eilte ihr besorgt nach, aber sie verbarrikadierte sich in ihrem Zimmer und ließ niemanden herein.
Und Antonio begriff, dass ihm Emma und Alex die Show gestohlen hatten. Wie gerne hätte er auch gezeigt, was er konnte, doch ohne Pianisten war ihm das nicht möglich. Und Alex sah nicht so aus, als wäre er erpicht darauf, ihn zu begleiten. Alex hatte nur Augen für Emma.
Antonio wurde langsam klar, dass dieser Mann eine ernsthafte Bedrohung für ihn darstellte. Die Blicke, die der Mistkerl Emma zuwarf, waren höchst intensiv und Emma beantwortete sie mit einem zärtlichen Augenaufschlag. Außerdem hatte er inzwischen seinen Arm um ihre Hüfte geschlungen und ließ sie nicht mehr los. Das war kein Applaus mehr, bei dem sich zwei Künstler einfach verbeugten. Das war ein erotisches Vorspiel!
Antonio knirschte mit den Zähnen. Er konnte nichts tun, er musste gute Miene zum bösen Spiel machen. In Zukunft würde er Emma verbieten zu singen. Aber heute hatte er selbst für seine Niederlage gesorgt.
Das Publikum raste immer noch und schließlich gaben Emma und Alex eine Zugabe.
Das auch noch! Noch nie war Antonio so gedemütigt worden, und er schwor sich, dass er sich rächen würde. Er wusste noch nicht, wie er es Alex heimzahlen würde, aber für Emma hatte er schon ein genaues Programm. Und das würde noch heute Abend stattfinden. Seine Utensilien lagen griffbereit und er wusste genau, wo er sie einsetzen würde.
Als das Konzert endlich zu Ende war, gab es kein Halten mehr. Die Menschen strömten auf die Bühne und wollten Emma gratulieren. Sie stand in einer Traube von begeisterten Fans. Alex war dicht an ihrer Seite. Sie hielt seine Hand fest und ließ sie nicht mehr los.
»Das war wirklich großartig!«
Amanda Tellington schob
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